Analyse

Die EU will Russland mit dem Öl-Embargo treffen – doch Putin kalkuliert anders

Öltank-Waggons in der sibirischen Stadt Omsk.
Öltank-Waggons in der sibirischen Stadt Omsk.(c) REUTERS (ALEXEY MALGAVKO)
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Einst zerstörten die Saudis mit einem Ölpreissturz die Sowjetunion. Heute will die EU Russland mit einem Öl-Embargo zusetzen, das den Preis treibt. Wie soll das gelingen, wenn Russland völlig anders rechnet?

So mancher Sanktionsstratege wird sich dieser Tage die 1980er-Jahre herbeigewünscht haben. Einfach war die Welt zwar auch damals nicht. Aber indem die Saudis dem Wunsch der USA nachkamen, hebelten sie ein ganzes Imperium aus. Und das ging so: Obwohl die Ölpreise niedrig waren, begannen sie ab 1985 die Förderung zu vervielfachen. Der Preis brach um über zwei Drittel ein. Der Effekt: Die vom Ölexport abhängige Sowjetwirtschaft brach zusammen. Und der Westen hatte einen niedrigen Ölpreis.

Heute funktioniert dieses System so nicht mehr. Saudiarabien spielt nicht mit. Weil aber der Westen das kriegführende Russland dennoch bei seiner Haupteinnahmequelle treffen will, hat sich nun auch die EU zu einem Embargo gegen russisches Öl durchgerungen. Der Effekt: Der Ölpreis, seit Jahresbeginn ohnehin schon um über 50 Prozent gestiegen, kletterte weiter auf 124 Dollar je Barrel. Und während dadurch die Inflation weiter angekurbelt wird und Europa vor einem Spritmangel steht, wie Fatih Birol, Chef der Internationalen Energieagentur (IEA), dem Magazin „Spiegel“ sagte, kann sich Russland vorerst sogar über den Ölpreis freuen.

Steigt Russland also paradoxerweise besser aus als die EU, wie das in Moskau - auch von Kremlchef Wladimir Putin - schon bei bisherigen Sanktionen gern propagiert wurde und auch angesichts des jetzigen Sanktionspakets wird?

So einfach ist die Sache nicht. Und auch nicht so eindeutig.

Das Embargo

Beginnen wir beim Öl-Embargo. Dieses sieht vor, dass die Lieferungen auf dem Seeweg, die bisher etwa zwei Drittel der russischen Ölimporte in die EU ausgemacht haben, eingestellt werden. Sollten zudem Deutschland und Polen bis zum Jahresende wie angekündigt ihre Importe über die Druschba-Pipeline einstellen, „würde die EU ihre Ölimporte aus Russland um 90 Prozent reduzieren“, schreibt die Commerzbank. Für Russland ein empfindliches Volumen, denn von den 9,12 Millionen Barrel Öl, die es im April täglich gefördert hat, gingen laut IEA 3,4 Mio. Fass in die EU.

Russlands Verluste

Doch wie viel verliert Russland an Einnahmen? Die Agentur Bloomberg hat berechnet, dass es bei der besagten Reduzierung um 90 Prozent heuer 22 Milliarden Dollar sind. Die Berechnung sei verkürzt, da sie nur auf dem Ölpreis basiere, sagt Michail Krutichin von der Moskauer Energieberatungsfirma Rusenergy im Gespräch mit der „Presse“. Man müsse bedenken, dass eine erzwungene Kürzung der Ölförderung um 20 bis 30 Prozent ja einen Multiplikationseffekt auf nachgelagerte Branchen habe und dort zu großer Arbeitslosigkeit führe. Das Budget würde 20 bis 25 Prozent der Einnahmen verlieren.

„Kurz- und mittelfristig sind die Folgen für Russland nicht dramatisch“, hält Vasily Astrov, Russland-Experte am Wiener Institut für Internationale Wirtschaftsvergleiche, dagegen. Denn auch wenn Russland anderen Abnehmern außerhalb Europas Preisrabatte gewähren müsse, könne es aufgrund der aktuell hohen Notierungen gute Erlöse für das über Tanker nach Asien umgeleitete Öl erzielen, sagt er auf Anfrage. Und die Preise dürften vorerst hoch bleiben. Die Bank of America prognostiziert, dass der partielle Wegfall russischen Öls den Preis um mehr als 20 Prozent auf über 150 Dollar je Barrel treiben könnte.

(c) Die Presse

Russlands Kalkül

Mit einem solchen Preiskalkül rechnet paradoxerweise Moskau gerade selbst. Zunehmend kursieren unter Verantwortlichen und Experten Ideen, die Budgeteinnahmen dadurch zu erhöhen, dass man die Ölförderung von sich aus senkt und den Preis treibt. Gefallen ist sie ohnehin bereits: Wurden im April 2021 täglich noch 10,46 Millionen Fass aus der Erde gepumpt, waren es im jetzigen April nur 9,12 Mio. Barrel. Prognosen unterschiedlicher Minister zufolge könnte die Förderung heuer sanktionsbedingt um bis zu 17 Prozent fallen.

Man könnte von sich aus weiter gehen, meinte Leonid Fedun, Vizechef des zweitgrößten Ölkonzerns Lukoil, in einem Zeitungsbeitrag: „Wozu sollte Russland überhaupt täglich zehn Millionen Barrel fördern, wenn wir mit sieben bis acht Millionen auch keinen Budgetverlust erleiden?“, fragte er. Das sieht auch der Moskauer Ökonom Alexander Schirow so – und zwar angesichts des diesjährigen Rekord-Handelsbilanzüberschusses von voraussichtlich 250 Milliarden Dollar. Wozu sollte Russland so viel exportieren, wenn es sich aufgrund der Sanktionen ohnehin nichts dafür kaufen könne, fragt er.

Moskaus Fehlkalkulation

Gewiss, ob Russland mit dem Kalkül, die EU auszutricksen und den Ölpreis selbst zu treiben, klug agieren würde, ist letztlich doch umstritten. Zum einen besteht das technische Problem, dass stillgelegte Bohrlöcher aufgrund des Frostes nicht mehr so problemlos aktivierbar sind wie im Nahen Osten. Zum anderen rufe ein hoher Ölpreis auch andere Produzenten – vor allem in der US-Schieferölindustrie – auf den Plan, in neue Lagerstätten zu investieren, was langfristig den Ölpreis senke, so Astrov: „Kurzfristig ist Russland vielleicht aus dem Schneider. Aber langfristig sitzt es auf dem kürzeren Ast.“

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