Lokalkolorit

Testessen im Berger & Lohn

Stefan Joham
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Gersthofer Kalbskopffestspiele mit einem alten Bekannten.

Wie hoch ist jetzt eigentlich das Risiko, wenn man schreibt, Thomas Wohlfarter ist angekommen?“, lautete der Schlusssatz einer 2014 an dieser Stelle erschienenen Kritik über das Dombeisl; Wohlfarter hatte damals gerade Harald Riedl abgelöst, später war er (ergo: Risiko hoch) im Gasthaus Seidl und im Schlosspark Mauerbach anzutreffen, nun hat ihn Horst Scheuer ins Berger & Lohn geholt. Jenes Restaurant im 18. Wiener Bezirk, dessen weiß livrierte Identität Scheuer in einem soeben erschienenen Interview-Buch von Max Dax (Untertitel: „24 Gespräche über die Vorstellungskraft“) in ebenso eingängiger wie detailsinniger Manier zu erklären sucht.

Ein Beispiel: „. . . dass ich hier am Abend eine Stimmung zu erreichen versuche, wie meine Gäste sie vielleicht auch in einem wienerischen Restaurant eines Wiener Exilanten in Manhattan erleben würden.“ Was man außerdem erfährt: Das Ballon-Wiener-Schnitzel sah Horst Scheuer als Parodie. Heute akzeptiert er es als Signatur seines Lokals.

Kalbskopf, frankophil

Müsste man Thomas Wohlfarter, diesen intelligenten und begnadeten Koch mit einem Handwerksverständnis, das man vielen Kollegen wünschen würde, auf ein Gericht reduzieren – es wäre der Kalbskopf. Nicht die heiße, panierte Version, sondern die dünn aufgeschnittene, knapp unter lauwarm servierte. Der Kalbskopf, in zarten Scheiben auf dem Teller ausgebreitet, ist seine Leinwand, sein weißes Blatt;

Herbert Lehmann

das war bereits im Amarantis so, diesem längst verblichenen Restaurant nahe dem Museumsquartier. Thomas Wohlfarter schrieb dem Kalbskopf schon Alliterationen wie Korinthen, Kapern, Karfiol auf den elegant-gallertigen Leib, pinselte seine Vision von mediterran darauf – Paradeiser, sommerfruchtige Säure, winzige Croutons. Im Berger & Lohn legt er es jetzt frankophiler an, mit einem schlafwandlerisch sicheren Gefühl für Texturen- und Aromendramatik: Kerbel, feinste Estragonstreifen, Wurzelgemüse-Brunoise, winzige Vanillenavetten, perfekt gegarte Belugalinsen (14 Euro).

Angesichts dieser Anmut fast eine Stufe zu derb – oder nur zu viele – sind die darauf platzierten Röstzwiebelringe. (Ist es unziemlich, einen Gang gleich noch einmal zu bestellen, Herr Scheuer?). Weißen Spargel nappiert Wohlfarter mit einer feingeistigen Gemüsevinaigrette, ebenfalls mit ­Brunoise und nadeldünnem Estragon (17  Euro). Beim geschmorten Lamm mit gegrillten Melanzani (24 Euro) wie auch bei der Fregola Sarda mit gerösteten Melanzani, Paprika, Paradeisern und ­Scamorza (15 Euro) stellt er wiederum seine mediterranen Neigungen zur Schau.
Wann ruft Gersthof eigentlich die weltweit ersten Kalbskopffestspiele aus? 

Berger & Lohn, Gentzgasse 127, 1180 Wien, Tel.: +43/(0)1/470 44 33, Restaurant: Di–Sa: 18–1,
So: 12–16 Uhr. Mehr Kolumnen auf: DiePresse.com/lokalkritiken

("Die Presse Schaufenster" vom 03.06.2022)

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