Geschichte

Nationalsozialismus: Wie oberösterreichische Frauen Widerstand leisteten

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Eine nun veröffentlichte Sammlung bisher teils unbekannter Biografien belegt, auf welche Weise Frauen in Oberösterreich dem Nationalsozialismus widerstanden. Zivilcourage zeigten die Frauen gerade im Alltag.

Als Karoline Hartl am 15. Oktober 1943 aufwachte, wusste sie nicht, dass dieser Tag ihr ganzes Leben verändern würde. An diesem Tag wurde sie festgenommen und in die Haftanstalt des Landesgerichts Linz gebracht. Ein Sondergericht verurteilte sie zu fünfzehn Monaten Haft, die sie fast vollständig verbüßen musste. Der 50 Jahre alten Frau, die seit dem Tod ihres Mannes 1941 allein ihren Bauernhof in Ried im Innkreis bewirtschaftete, wurde vorgeworfen, ein freundschaftlich-lockeres Verhältnis zu den Zwangsarbeitern zu unterhalten, die auf ihrem Hof arbeiten mussten. Außerdem hatte der Leiter des Sicherheitsdienstes in Ried beobachtet, wie sie gemeinsam mit einer anderen Frau BBC hörte. Gerüchte kursierten, dass sie auch die Zwangsarbeiter ausländische Sender habe hören lassen. In der politischen Beurteilung der Gauverwaltung heißt es: „Ihr Ruf in persönlicher Hinsicht ist sehr zweifelhaft, nachdem sie es nicht versteht, Abstand zu den Fremdvölkischen zu bewahren. Weltanschaulich kann sie nicht als nat.-soz. ausgerichtet bezeichnet werden.“

Der informelle Widerstand

Karoline Hartls Handeln ordnen Elisa Frei (Uni Wien), Martina Gugglberger (Uni Linz) und Alexandra Wachter (Österr. Gesellschaft für Zeitgeschichte), Autorinnen des Buches „Widerstand und Zivilcourage. Frauen in Oberösterreich gegen das NS-Regime 1938–45“ als „Alltagswiderstand“ ein. Sie erweitern den engen Begriff des nach dem Zweiten Weltkrieg verwendeten militärischen oder politisch organisierten Widerstandes um den von Frauen in viel stärkerem Ausmaß geübten informellen Widerstand durch Unterstützung von Gefangenen, KZ-Häftlingen und politisch Verfolgten oder durch zivilen Ungehorsam gegen die NS-Administration. Dadurch gelingt eine aufschlussreiche Darstellung von Frauenbiografien, die über die bekannten Widerstandskämpferinnen hinausgeht und auch Verfolgte in ganz Oberösterreich einschließt.

Paula Mitterhauser verweigerte als Volksschulkind den Hitlergruß. Für ein NS-kritisches Flugblatt kam sie später ins Jugendgefängnis.
Paula Mitterhauser verweigerte als Volksschulkind den Hitlergruß. Für ein NS-kritisches Flugblatt kam sie später ins Jugendgefängnis.

Alltagswiderstand setzte auch die Kindergärtnerin Paula Mitterhauser, geboren 1927, aus Losen-stein dem NS-Regime entgegen. Aus einer sozialdemokratischen Familie stammend, verweigerte sie zusammen mit einer Freundin als Volksschulkind den Hitlergruß. Mit sechzehn schrieb sie 1944 verschlüsselte Briefe an ihren Freund Hans, die durch die Militärzensur abgefangen und als wehrkraftzersetzend bewertet wurden. Nach einer Hausdurchsuchung durch die Gestapo, bei der ein NS-kritisches Flugblatt gefunden wurde, kam sie in Einzelhaft in Steyr und wurde 1945 vom Oberlandesgericht Wien zu zwei Jahren Jugendgefängnis verurteilt.

Aufgenommen in die nun veröffentlichte Sammlung wurden auch Frauen mit religiösem und politischem Hintergrund, die bisher kaum öffentlich wahrgenommen worden sind. So steht etwa Maria Moser für den Widerstand aus Glaubensüberzeugung. Die Zeugin Jehovas stammte aus Braunau und wurde schon 1939 im Frauenkonzentrationslager Ravensbrück interniert und 1942 zusammen mit 50 Glaubensgenossinnen nach Auschwitz deportiert. Sie überlebte als einzige Oberösterreicherin in dieser Gruppe und konnte so berichten, dass die Lagerleitung die 450 inhaftierten Zeuginnen Jehovas in Ravensbrück besonders schikanierte, als sie sich im Dezember 1939 gemeinsam weigerten, kriegswichtige Arbeiten zu übernehmen.

Schwanger verhaftet

Anna Königsecker, 36, hatte vor dem Krieg der Einheitspartei „Vaterländische Front“ angehört und wird dem christlich-konservativen Widerstand zugeordnet. Sie hatte drei Kinder und war schwanger, als sie 1944 verhaftet wurde, weil ihr vorgeworfen wurde, ihren verfolgten Mann auf dem Dachboden versteckt zu haben. Sie brachte kurz nach der Entlassung aus dem Gefängnis ein Mädchen zur Welt, das mit zweieinhalb Monaten starb.

Im Umfeld der kommunistischen Widerstandsgruppe „Münichreiter“ in Linz wiederum agierte die verwitwete Reichsbahn-Gehilfin Frieda Buchacher. Auch sie hatte drei Kinder. Trotzdem versteckte sie einen Deserteur, fälschte Papiere und vervielfältigte Texte. Als sie 1944 verhaftet wurde, boten Verwandte erfolglos an, die Kinder aufzunehmen – sie wurden in NS-Erziehungsheime gebracht. Buchacher wurde zu sechs Jahren Haft verurteilt und nach Kriegsende von amerikanischen Truppen aus der Haftanstalt Wels befreit. Dass sie dem Todesurteil entging, wird darauf zurückgeführt, dass ihr eine Liebesbeziehung zu einem Deserteur nachgesagt und damit Handeln aus Überzeugung abgesprochen wurde.

Als Prinzessin zu Schwarzenberg war Ida Revertrera geboren worden. Zusammen mit ihrer Tochter Josephine organisierte sie Zusammenkünfte aus dem christlich-konservativen Widerstand in ihrem Jagdhaus. Die zum Reichsarbeitsdienst einberufene Josephine wurde in Bayern vermutlich wegen „Wehrkraftzersetzung“ inhaftiert.

Als Verfolgte wird weiters die 1924 in Rawa-Ruska, der heutigen Ukraine, in eine jüdische Familie geborene Ida Blutreich porträtiert. Zusammen mit ihrer Freundin Anna Fraenkel gab sie sich als Ukrainerin aus und meldete sich mit falschen Papieren zum Arbeitsdienst ins Deutsche Reich. So hofften sie der Deportation ins Vernichtungslager Belzec zu entkommen. Ida Blutreich musste in den Hermann-Göring-Werken in Linz arbeiten. Anna Fraenkel wurde als Zwangsarbeiterin in St. Martin in der Steiermark eingesetzt. 1944 wurden die beiden Zwanzigjährigen als Jüdinnen enttarnt und nach Auschwitz-Birkenau deportiert. Sie überlebten und emigrierten nach dem Krieg nach Israel.

Ein Denkmal für die Frauen

Das Buch, das auf Vorarbeiten der Linzer Zeithistorikerin Martina Gugglberger basiert, ist als Begleitband eines Denkmals für Frauen im Widerstand in Oberösterreich konzipiert, das 2023 realisiert werden soll. Die aufwendige grafische Darstellung erschwert bedauerlicherweise die Lesbarkeit erheblich, besonders das dunkelgraue Papier, auf das die Biografien gedruckt wurden, sollte in einer weiteren Auflage verändert werden, damit es barrierefrei zu nutzen ist. Dann ließen sich die wichtigen Informationen mit noch mehr Gewinn durch Schulen und eine breite Öffentlichkeit nutzen.

Das Buch


E. Frei, M. Guggl-berger, A. Wachter
„Widerstand und Zivilcourage"
Oberösterreichisches Landesarchiv
140 Seiten, 14,90 €

Präsentation im März 2022

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