Junge Forschung

Die beste Energie ist die, die man nicht verbraucht

Die Technische Mathematikerin Sonja Wogrin baut am Computer Modelle, mit denen sich die Zukunft des österreichischen Energiesystems simulieren lässt.

Für sie sei es die große Ausnahme. Sonja Wogrin ist vorgestern, Donnerstag, mit dem Auto von Graz zum „Pfingstdialog“ im südsteirischen Schloss Seggau gefahren, der diesmal ganz im Zeichen der Energiezukunft Europas gestanden ist. „Das mache ich sonst nie, manchmal geht es nicht anders“, sagt sie – und scheint sich ein wenig ertappt zu fühlen. „Ich bringe die Kinder zu Fuß in den Kindergarten und fahre fünf Tage die Woche mit dem Rad in die Arbeit.“ Sie lebe das Prinzip „Live what you preach“ („Praktiziere, was du predigst“, Anm.). Denn die 37-Jährige leitet das Institut für Elektrizitätswirtschaft und Energieinnovation der TU Graz, wo sie – nach Karrierestationen im Ausland – vor rund einem Jahr zur Professorin berufen wurde.

Am renommierten Massachusetts Institute of Technology in Cambridge, USA, etwa absolvierte sie ein Masterstudium für angewandte Optimierungsfragen. „Ich wollte immer etwas tun, was der Welt etwas bringt“, sagt sie. Dass es die Elektrizitätsmärkte sind, mit denen sie sich befasst, ist aber eher Zufall: „Das ist ein Dorado, weil es ganz komplexe Probleme zu lösen gilt.“ Das fachliche Rüstzeug dafür gibt ihr die Technische Mathematik, ihr Grundstudium. Das könne man überall brauchen, habe sie sich einst gedacht, schildert die gebürtige Kärntnerin. Technikbegeistert sei sie schon immer gewesen, in der Schule habe sie aber noch keine Ahnung gehabt, was Elektrotechnik sei: „Ich habe ein humanistisches Gymnasium besucht und sechs Jahre lang Latein gelernt.“

Pionierin in der Elektrotechnik

Promoviert hat Wogrin an der Universidad Pontificia Comillas, einer der berühmtesten akademischen Institutionen Spaniens. Dorthin folgte sie ihrem Mann, den sie am MIT kennengelernt hatte, der Liebe wegen. „Eigentlich wollte ich nur ein paar Monate bleiben, daraus wurden zehn Jahre“, erzählt sie schmunzelnd. Mittlerweile ist das Paar verheiratet, hat zwei Kinder und lebt seit der Berufung Wogrins in Österreich.

An der TU Graz ist sie in der mehr als 200-jährigen Geschichte der Universität erst die zweite Frau, die einen Lehrstuhl für Elektrotechnik innehat. Ein wichtiger Schritt: „Frauen und Männer denken anders, sie bringen unterschiedliche Probleme auf den Tisch und gehen anders damit um“, sagt die Forscherin. In ihrer Arbeit nutzt sie mathematische Systeme, um am Computer digitale Zwillinge zu bauen, die das Energiesystem abbilden. So lassen sich unterschiedliche Szenarien durchspielen, Wirkung und Kosten verschiedener Optionen rasch abwägen. Das passiert etwa im vom Klima- und Energiefonds geförderten Projekt „InfraTrans2040“. Es soll dazu beitragen, dass Österreich bis zum Jahr 2040 klimaneutral wird. Drei Ausbauvarianten von Strom, Gas und Wärme werden entwickelt, Wogrin steht dazu auch in engem Austausch mit dem Klimaschutzministerium.

Trotz der großen Herausforderungen, die auf die Gesellschaft warten, strahlt Wogrin bei jedem Wort Zuversicht aus: „Wir Menschen sind aus den Höhlen herausgekommen und auf den Mond geflogen. Wir können das hinkriegen.“ Aber: Die Bevölkerung müsse wirklich wollen – jede und jeder Einzelne einen Beitrag leisten. Schon als Jugendliche habe sie geärgert, wenn der Eindruck vermittelt wurde, allein könne man nichts ausrichten: „Sehen Sie sich als Teil der Lösung und nicht als Teil des Problems“, appelliert die Wissenschaftlerin. „Wir müssen etwas ändern. Wir zerstören unseren Planeten!“ Doch wo kann man ansetzen? Überall: etwa, indem man sein Haus oder zumindest die Fenster dämmt oder beim Kauf eines neuen Kühlschranks darauf achtet, dass er energieeffizient ist – und auch bereit ist, dafür vielleicht etwas mehr zu zahlen. Unpopulär, aber wichtig sei es auch, über Verzicht nachzudenken: „Die beste Energie ist die, die man nicht verbraucht.“

Ihre Freizeit verbringt Wogrin mit ihrer Familie oft in den nahen Bergen, etwa am Schöckl oder in der Kesselfallklamm bei Graz: „Das ist wunderschön und ein Abenteuer für die Kinder“, erzählt sie begeistert. Daher bleibe sie im Urlaub gern im Land, statt auf die Malediven zu jetten – auch das ist ein Beitrag zum Klimaschutz.

Zur Person

Sonja Wogrin (37) kommt aus St. Filippen in Kärnten und hat Technische Mathematik an der TU Graz studiert. Am MIT (Massachusetts Institute of Technology), USA, absolvierte sie 2008 ein Masterstudium. Das Doktorat schloss sie 2013 an der Comillas Pontifical University in Spanien ab, wo sie auch als ao. Professorin arbeitete. Dem Ruf an die TU Graz folgte sie im August 2021.

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("Die Presse", Print-Ausgabe, 04.06.2022)

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