Elizabeth vor 70 Jahren. Sie wurde eine Königin, an die die Briten ihre Vorstellung von Anstand und Würde auslagern konnten.
Elizabeth II

Queen Elizabeth II: Die Festung der Diskretion

Unerschütterlich wie gewohnt begeht die britische Königin ihr Thronjubiläum. Wie ist die Queen? In sie hineinzublicken bleibt den begabtesten Biografen verwehrt.

Siebzig Jahre auf dem Thron – was bedeutet das? Die Meinungen sind zweigeteilt: Ist es ein Leben des selbstlosen Dienstes am Land, der Aufopferung und täglichen Schufterei? Oder eines auf Kosten der Steuerzahler im schmarotzerhaften Müßiggang, jede ehrliche Arbeit vermeidend? Um dieser Frage auf den Grund zu gehen, schlägt Nicola Shulman im neuesten „Times Literary Supplement“ ein Gedankenspiel vor. Man möge sich in einer Reality-TV-Show 100 Tage als Queen zur Verfügung stellen und erproben, was da kommt.

Man wird Annehmlichkeiten feststellen: Prunkräume, Diener, Limousinen, Privatsekretäre und Hofdamen, jeden Morgen zugezogene Vorgänge und Tee auf dem Tablett. Während des Tages kommt das, was eine Königin tut: an offiziellen Terminen teilnehmen, an Haushaltssitzungen, Ausschüssen, Eröffnungen, Gottesdiensten, formellen Mahlzeiten mit Würdenträgern, Lektüre der Akten über Kabinettsangelegenheiten, die in den Red Boxes, hölzernen Aktenköfferchen, einlangen, dann ein wöchentlicher Termin mit dem Premierminister, am Mittwoch um 18.30 Uhr, aktuell ist es Boris Johnson, was die Sache auch nicht leichter macht.

Alles wird bemerkt und kommentiert

Punkteabzüge in der Performance gibt es bei Fehlern, wie dem Übersehen wichtiger Regierungsunterlagen im roten Koffer, dem Vergessen von Namen oder eines Teils der Tagesordnung, für das Gähnen zur falschen Zeit und Sitzen am falschen Stuhl, für Verstöße gegen die Hofetikette und das Protokoll, für das Äußern einer politischen Meinung oder persönlichen Vorliebe, ein Blackout im Gespräch oder eine zu originelle Äußerung. Denn jeder erinnert sich an das, was sie von sich gibt. Nichts wird unkommentiert gelassen oder vergessen. Lesen Sie die letzten fünf Biografien der Queen: Keinem der Autoren gelingt es, auch nur eine einzige interessante Aussage von ihr wiederzugeben, die man nicht schon gehört hat.

Dieses Spiel stößt bald an die Grenzen der Realität: Man wird erleben, was die Königin tut, aber nicht, wie es ist, Königin zu sein. Denn sie ist zu diskret, um es uns mitzuteilen. In sie hineinzublicken ist uns völlig versagt, denn sie hält sich an die Maxime der Familie, „die Oberfläche zu bewahren“, bei Konflikten ausgleichend zu sein, wenn es geht, oder sie zu ignorieren, wenn es nicht geht. Man nennt das im Buckingham-Palast „ostriching“, also den Kopf in den Sand zu stecken, bis die Gefahr vorüber ist.

Ihre Amtsvorgänger zu befragen wäre auch keine Lösung, zumal sie definitionsgemäß alle tot sind. Nicola Shulman: „Wenn man an die Festung der Diskretion denkt, die sie umgibt – sicherlich ihr größtes architektonisches Vermächtnis –, bleibt einem eine biografische Binsenweisheit in ihrer reinsten Form: dass jeder Versuch, die Zitadelle des Innenlebens zu erforschen, mehr über den Autor als über das Subjekt aussagt. Widerstandslos wird sie zu dem, was sie sein soll.“ So diene sie den Biografen. Sie schreiben nicht Bücher nach dem Bild der Queen, sondern liefern uns eine Queen nach dem Bild, das sie von ihr haben.

Einer von ihnen, einer der seriösen, ist Robert Hardman, er hat zum 70. Thronjubiläum „Queen of Our Times“ vorgelegt, und er wirkt im ersten Satz resignativ: „Nach allen Maßstäben des modernen öffentlichen Lebens sind sieben Jahrzehnte ununterbrochener Führung schwer zu begreifen.“ Normalerweise würde man bis zum Ende eines herausragenden Lebens warten, doch die Regierungszeit von Elizabeth II. bleibe „ein ständiges Unterfangen“. Während ihre früheren Zeitgenossen schon Teil des Geschichtsunterrichts seien, blicke sie immer noch in die Zukunft. Im Mai 2024 wird sie Thailands König Bhumipol und Frankreichs Ludwig XIV. überholt haben, niemand wird dann länger regiert haben als sie. (Das Buch entstand, bevor körperliche Gebrechlichkeit Abdankungsgerüchte nährte.)

Als kleine Prinzessin saß sie auf den Knien der Kinder von Queen Victoria, Winston Churchill war bei ihrem Antritt Premier, damals, 1952, waren Tee, Zucker, Butter wie im Krieg noch rationiert, es gab keine Autobahnen oder Supermärkte, die BBC war der einzige Fernsehsender, der Mount Everest nicht bestiegen, britische Soldaten noch im Koreakrieg und die Gesellschaft war monokulturell, ehrerbietig und kirchentreu.

Die meisten bedeutenden historischen Persönlichkeiten enden irgendwann als dramatische Figuren. Nur wenige machen diese Erfahrung, wenn sie noch im Amt sind, und es gibt kaum Fälle, in denen das Leben einer Familie zu deren Lebzeiten in eine fiktive Version ihrer selbst einfließt. Die Netflix-Serie „The Crown“ von Peter Morgan versucht, das Leben Elizabeths zu dramatisieren, es ist der „ungeheuerlichste Fall von Queensploitation in jüngster Zeit“, so Shulman. Was Morgan erkannte, ist, dass das Haus Windsor nicht nur eine königliche Linie, sondern auch eine Familie ist und Familien eine reiche Quelle von Konflikten darstellen. Noch dazu kollidieren die persönlichen Gefühle hier mit den Ansprüchen der Pflicht.

Dadurch wurde das Narrativ von der „Königin der Krisen“ verstärkt. Die Serie hat die weltweite Wahrnehmung der Windsors geprägt, im Guten wie im Schlechten. Sie hat das Profil der Monarchie gestärkt – aber zu welchem Preis für ihren Ruf? Das Porträt einer freudlosen, weltmüden Elizabeth, die von einem Rückschlag nach dem anderen heimgesucht wird, scheint im Widerspruch zu der Rolle der Monarchin heute zu stehen. Hardmans Biografie sieht ihre Rolle in der Geschichte des modernen Großbritanniens und des Commonwealth keineswegs als unbedeutend, sondern als eine Lektion in der umsichtigen Anwendung von Soft Power.

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