Wiener Originale

Trude Marzik: Meldezettel der Peripherie

Sie ist in der Vorstadt zu Hause. Doch die Lyrikerin und Mundartdichterin Trude Marzik beherrscht das Wienerische in allen Spielarten. Vom Gemeindebau-Bassena-Tratsch bis zum Rencontre im Salon.

Mit dem Charme eines Vorstadt-Gigolos lässt er die Tristesse des Alltags vergessen. Ein Seelentröster, bei dem alles wirkt, als wäre es von Zuckerguss überzogen: Heinz Conrads. Eine Erzählerin und Lyrikerin aus der Hernalser Vorstadt schickt 1970 ihr Gedicht „Mei Bua“ an den Herzspezialisten Conrads: Trude Marzik.

Es ist eine spontane Idee der Mundartdichterin, der Publikumsliebling liest das Gedicht ebenso spontan in seiner beliebten Radiosendung vor. Ab diesem Moment gehört der humorvollen, aber auch nachdenklichen Wiener Lyrikerin das Herz des Publikums. Und es meldet sich ein Verlag, der ihre Lyrik veröffentlicht. Dem späten Durchbruch steht nichts mehr im Weg. Ihre Literatur ist anspruchsvoll, aber lesbar, daher für Verlage auch verkäuflich. Trude Marzik beherrscht das Wienerische als Umgangssprache in den verschiedensten Spielarten – vom Bassena-Tratsch im Gemeindebau bis zum Rencontre im Salon. Doch ihren Meldezettel hat sie immer in der Peripherie, in der Wiener Vorstadt.

„Die Hernalser Hauptstraße besteht vorwiegend aus Zinskasernen. Das Haus auf Nummer 160 ist keine Ausnahme. Dort, im ersten Stock, gleich über der Einfahrt (die zwei Fenster mit den Butzenscheiben), wurde ich geboren“, schreibt Trude Marzik im Buch „Zimmer, Kuchl, Kabinett“: „Die Butzenscheiben waren damals allerdings noch nicht vorhanden. Ich erblickte das Licht der Welt daher durch normales Fensterglas, am 6. Juni 1923, um elf Uhr nachts, wenn man den Angaben meiner Mutter glauben darf.“

1971, Trude Marzik ist bereits 48, erscheint „Aus der Kuchlkredenz. Gedichte aus Wien“, ihr erster Gedichtband. Von Gedicht zu Gedicht, von Buch zu Buch, wird sie zur gefeierten Wiener Vorstadtlyrikerin, die den kleinen Kosmos aus „Zimmer, Kuchl, Kabinett, Gitterbett neb'n Ehebett“ beschreibt. Im Alter von 85 Jahren erscheint ihr letztes Buch „Meine Lieblingsgedichte“.

Das Dichten und Reimen begleitet Trude Marzik, die als Edeltrud Marczik geboren wird, bereits seit ihrer Kindheit. Für die Eltern verfasst sie Krampusverse, schreibt gereimte Schulaufsätze. „Weihnachten, Ostern, Muttertag – das ganze Jahr wurde gereimt.“ Später studiert sie Anglistik und Germanistik, kann das Studium aber wegen des Krieges nicht abschließen. Nebenbei nimmt sie privat Schauspielunterricht, absolviert 1944 die Bühnenreifeprüfung, bei der Feier danach lernt sie den Soldaten Walter König kennen, dem sie im Frühjahr 1945 mit dem Fahrrad folgt, als er seinen Marschbefehl Richtung Westen erhält. Die Geschichte der beiden Liebenden, die 1946 heiraten, verarbeitet die Literatin später im Roman „Hochzeitsreise 45“ – der erst 1984 erscheint.

In Salzburg lebt das Paar von „geschenkter Milch und geschenktem Käse“, erzählt Marzik später. Sie tritt vor amerikanischen Soldaten und im neu eröffneten Salzburger Kabarett von Fred Kraus, dem Vater des Teenager-Idols Peter Kraus, auf.

1946 beginnt sie im Wiener Stadtbüro der amerikanischen Fluggesellschaft Pan American World Airways zu arbeiten. Als Angestellte der US-Firma erhält sie für ihre Familie üppige „Care-Pakete“ mit Corned Beef und Schweineschmalz, Honig, Rosinen und Schokolade. Viele Jahre später verfasst sie über das US-Nahrungs-Hilfsprogramm das Gedicht „Das Care-Paket“.

Nach dem Alltag im Büro und am Schalter der Pan Am tritt Trude mit kleinen Sketches im literarischen Cabaret „Der liebe Augustin“ im Souterrain des Café Prückel auf. Fritz Eckhardt ist ihr Entdecker.

Die vielseitige junge Frau arbeitet im Nachkriegs-Wien nachts als Übersetzerin, erst ab 1968 schreibt sie wieder regelmäßig Gedichte. Zuvor reimt sie nur für Firmenfeiern. Ihr Schicksalsgedicht – wie Trude Marzik es selbst bezeichnet – ist ihrem Sohn Alexander gewidmet: Am Tag seiner Hochzeit liest sie es ihm zum ersten Mal vor: „Mei Bua“.

Ein Lyrikband nach dem anderen erscheint: von „A bissl Schwarz, a bissl Weiss“ (1972) über „Parallelgedichte“ (1973), in dem sie Lyrik von Goethe, Eichendorff, Rilke, Kästner und Brecht ins Wienerisch übersetzt, bis „Die Zeit ändert viel“.

Die Prosaarbeit „Mizzi. Ein Mädel aus der Vorstadt“ veröffentlicht sie 1987: die wehmütige Geschichte einer Großmutter, die staunend auf ihr Leben zurückblickt – ein berührendes Einzelschicksal, das beispielhaft für eine ganze Generation gilt.

Mit „Geliebte Sommerfrische“ setzt Marzik der Blütezeit der Sommerfrische im niederösterreichischen Kamptal ein literarisches Denkmal. Texte für Lieder und Chansons runden den Schaffensbogen der vielseitigen Autorin ab.

Inzwischen mehrfache Großmutter, wird sie des Schreibens und Reimens nicht müde: In den 1990er-Jahren veröffentlicht sie die Bücher „Was ist schon dabei, wenn man älter wird“ und „Wiener Melange“. Mit dem Gedichtband „Am Anfang war die Kuchlkredenz“ nimmt sie den Titel ihres ersten großen Erfolgs wieder auf. Als 2008 ihr letzter Gedichtband „Meine Lieblingsgedichte“ erscheint, beschließt sie, das sei jetzt ihr letztes Buch, denn „heutzutage muss man entweder ein Kochbuch schreiben, einen Krimi oder einen Porno, da pass' ich nirgends hinein . . . und besonders ehrgeizig bin ich auch nicht.“

Lesen Sie mehr zu diesen Themen:


Dieser Browser wird nicht mehr unterstützt
Bitte wechseln Sie zu einem unterstützten Browser wie Chrome, Firefox, Safari oder Edge.