Unterwegs

Auch alles nur „Heisln“?

Über einen verbeulten Radreifen als Symbol für Wiener Stadtpolitik.

Was sind schon hundert Radler? Hundert Autos, die den Hernalser Elterleinplatz passieren, kann man binnen drei Minuten zählen. Andererseits, wer sich an diesem Donnerstagnachmittag, einem Werktag, aufs Radl geschwungen hat, um sich an der Demo von Neuwaldegg stadteinwärts zum Amtshaus zu beteiligen, muss als hoch engagiert gelten und zählt so wohl für ein Vielfaches an Sympathisanten (und zweifellos auch an Autofahrern, die sie oder ihn zum Teufel wünschen).

Es sind auch Kinder dabei, die man ohne den Geleitschutz der Polizei auf dieser Strecke mit dem Radl nicht auf die Straße lassen würde: viel zu gefährlich.

Es gibt einen Krieg, es gibt Inflation, hohe Mietpreise und viele Sorgen, aber es gibt eben auch das Fahrrad als alternatives Verkehrsmittel – wenn ihm die Stadtpolitik nicht so hartnäckig im Weg stünde.

Allzu viel wäre ja nicht zu tun: ernst gemeinte, also bauliche Entschärfung der größten Gefahrenstellen, wo das seit langem gefordert wird. Wie eben in Neuwaldegg, das sich durch ein ein Kilometer langes neuralgisches Stück – eng, Straßenbahn, Pendlerverkehr – vom Radwegenetz der Stadt abgetrennt sieht. Man baut ja auch eine „Stadtstraße“ nur für Autos.

Der Bezirksvorsteher, der einen verbeulten Radreifen übergeben bekommt, bewahrt tapfer die Haltung. Er würde wohl gern, kündigt halt ein bisschen etwas an, nicht sehr verbindlich, und es zieht ein weiterer Sommer ins Land, in dem mancher oder manche gern umgestiegen wäre vom Autositz auf den Radlsattel, es aber lieber bleiben lässt - und das hört man auch oft: wegen dieser einen Stelle.

Seit sich die Wiener SPÖ unter Michael Ludwig den grünen Anstrich gründlich vom Sakko geklopft hat, ist viel mehr nicht drin.

timo.voelker@diepresse.com

Nächste Woche: Karl Gaulhofer

("Die Presse", Print-Ausgabe, 05.06.2022)

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