Interview

Philosoph Robert Pfaller: "Das ist alles ziemlich schamlos"

„Die woke Pseudolinke diskutiert nicht. Sie glaubt, im Besitz einer exklusiven, gefühlten Wahrheit zu sein“, sagt der Philosoph Robert Pfaller.
„Die woke Pseudolinke diskutiert nicht. Sie glaubt, im Besitz einer exklusiven, gefühlten Wahrheit zu sein“, sagt der Philosoph Robert Pfaller.Die Presse/Clemens Fabry
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Anstatt uns Beschämungen zu ersparen, zeigen wir ständig mit dem Finger aufeinander, sagt der Philosoph Robert Pfaller. Warum wir das machen, schreibt er in seinem neuen Buch, „Zwei Enthüllungen über die Scham“.

Die Presse: Als der griechische Philosoph Diogenes von Sinope einen Jüngling erröten sah, sagte er: „Mut, mein Sohn, das ist die Farbe der Tugend.“ Gegenwärtig werden wir dauernd rot, sagen Sie, denn die Scham habe Hochkonjunktur. Ist unsere Gesellschaft demnach tugendhafter als früher?

Robert Pfaller: Das Tugendhafte an der Scham ist das Schamgefühl. Es soll uns durch zarte Signale, etwa leichtes Erröten, vor dem Ausbruch des vernichtenden Schamaffekts schützen. Zum Beispiel, indem es uns dazu motiviert, großzügig, stolz und mutig aufzutreten. Der Umstand, dass bei uns ständig der Schamaffekt ausbricht, zeigt im Gegenteil, dass uns besonders viel von dieser Tugend fehlt. Wir behandeln unsere Scham auch nicht schamhaft, indem wir sie zu verbergen versuchen, sondern protzen mit ihr, ähnlich wie Neureiche mit ihrer Rolex. Und anstatt anderen Beschämung zu ersparen, wie es in einer Schamkultur, etwa der japanischen, üblich ist, zeigen wir ständig mit dem nackten Finger auf angezogene Menschen und verkünden lautstark, dass wir uns für sie schämen. Das ist alles eben ziemlich schamlos.

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