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Die Meute auf Tripadvisor

Mit einem Fake-Restaurant führte Oobah Butler Bewertungswahrheiten vor: Die Hütte gibt’s nämlich gar nicht.
Mit einem Fake-Restaurant führte Oobah Butler Bewertungswahrheiten vor: Die Hütte gibt’s nämlich gar nicht. Amanshauser
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Das Internet wurde durch Tripadvisor & Co. zu einem Riesenleserbrief. Kann man ihm trauen?

Gelegentlich schreiben Sie mir Leserbriefe. Sie tadeln, zerpflücken, beschimpfen mich. Ich halte das aus. Wer Öffentlichkeit anstrebt, muss Kritik ertragen. Ich antworte auf alle Zuschriften, außer auf solche, die fragen, wer „Ihnen ins Hirn geschissen“ habe. Egal, der betreffende Herr (so formulieren Herren, Damen sind anders aggressiv) muss unrecht haben, da ich bisher über keine Gehirnöffnung verfüge, wodurch zum Glück keine wie auch immer geartete Substanz in es eindringen kann.

In den vergangenen zwanzig Jahren entwickelte sich das Internet zu einem gigantischen Leserbrief, der die Natur der Reisen änderte und die individuellen Itinerarien prägte. Webseiten wie
Tripadvisor (450 Millionen Besucher monatlich) liebe und hasse ich gleichermaßen. Neben den kriegerischen sozialen Medien stehen sie für die „Aggro-Demokratisierung“, die uns das Netz bringt – oder vorspiegelt. In Zeiten des „User-Generated Contents“ darf dort ­leider jeder alles Denkbare schreiben. Meine Publikumsfrage: Vertraue ich der Schwarmintelligenz, den gekauften Influencern, der Stiftung Warentest? ­

Folgegedanke: Vertrauen Sie – nur zum Beispiel – einem wie mir?
Die Meute auf Tripadvisor lamentiert, die Matratze sei zu hart oder zu weich gewesen, das weiche Frühstücksei zu hart oder das harte zu weich, die Betten seien ein Liebeskiller, der Strand sei zu sandig, die Akropolis zu steinig, die Rezeptionsklingel zu leise, im Nationalpark Hohe Tauern stünden zu viele Bäume, und die Freiheitsstatue sei nur eine Skulptur. Hilft uns Tripadvisor ­weiter? Wie viel davon ist authentisch? Angesichts auffällig positiver Bewertungen mutmaße ich häufig, Unterkünfte und Lokale lobten sich selbst oder ­ließen sich vom Freundeskreis preisen.
2017 erfand der Comedian und Filmemacher Oobah Butler das Fake-Restaurant „The Shed at Dulwich“, mit der Adresse seiner Londoner Gartenlaube. Trotz seiner Nichtexistenz stieg es auf Tripadvisor zum beliebtesten Lokal der Stadt auf. Butler schrieb den Bestseller „How to Bullsh*t Your Way to Number 1“. Ich misstraue seitdem Bewertungen. Mehr noch, ich misstraue jedem ­Einzelnen von Ihnen.

("Die Presse Schaufenster" vom 03.06.2022)

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