Pompeji: Italien ruiniert die Ruinen

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Das kulturelle Erbe des Landes befindet sich in erbärmlichem Zustand. Zuletzt stürzten in Pompeji antike Gebäude ein. Der Staat, der sich die Erhaltung nicht leisten kann und will, sucht private Investoren.

Pompeji. Der Vulkan schweigt. Seine Spitze ist in dicke Wolken gehüllt, die Luft schwer von Feuchtigkeit. Kleine Bäche aus Regenwasser suchen sich ihren Weg durch die Steinquader im Boden. Nur vereinzelt verirren sich Touristen zu dieser unwirtlichen Jahreszeit in den hinteren Teil der Anlage auf dem Weg zum Amphitheater – und müssen vor dem Metallgitter stehenbleiben, das ihnen den Weg versperrt.

Zwei Blöcke weiter bietet sich ein Bild der Zerstörung wie in der mittelitalienischen Stadt L'Aquila nach dem Erdbeben 2009. Die Polizei hat das Areal abgesperrt. Neben einem grünen Hügel türmen sich zerbröselte Ziegelmauern. Betonbrocken liegen wie von Riesenhand hingeworfen kreuz und quer übereinander, dazwischen ragen Eisenträger heraus. Unter der Last der schweren Regenfälle sind in den vergangenen beiden Tagen Mauern von antiken Gebäuden eingestürzt. Sie hielten den Wassermassen der anhaltenden Regenfälle nicht mehr stand. Anfang November ist das „Haus der Gladiatoren“ in sich zusammengekracht. Einst hat die Halle, etwa zehn mal 60 Meter groß, den Gladiatoren als Umkleideraum gedient, ehe sie zum Kampf antraten.

„Eine Schande für Italien“

Zurück blieb nichts als ein Haufen Schutt. Er erschüttert das Land bis in die ohnehin wankende Regierung im 250 Kilometer entfernten Rom. Staatspräsident Giorgio Napolitano sprach von einer „Schande“ für Italien. Wieder einmal ist eine Debatte darüber entbrannt, wie Italien mit seinem unermesslichen Schatz an Kulturgütern umgeht. „Pompeji ist vielleicht nicht so großartig wie die Akropolis“, sagt Antonio De Simone und zeigt auf die größte Ausgrabungsstätte der Welt: „Aber es liefert uns ein Bild davon, wie eine römische Stadt funktioniert hat. Das ist einzigartig, und wir haben die Pflicht, das zu erhalten.“ Der Archäologieprofessor gestikuliert wild hinter dem Steuer seines Wagens, während er über die Straße entlang der Ruinen holpert.

Noch ist nicht geklärt, weshalb das Haus der Gladiatoren nicht mehr steht. Doch für den kleingewachsenen älteren Herrn ist der Vorfall symptomatisch: „Es ist auch ein Mangel an Wartung“, sagt er mit Nachdruck. Nach den Bombenangriffen der Alliierten im Zweiten Weltkrieg musste das Dach erneuert werden. „Der damals verwendete Beton ist sehr schwer und hat seine Struktur verändert.“ Allein das Gewicht sei es jedoch nicht gewesen.

Unterdessen klart der Himmel auf, die Sonne bricht durch und lässt den Boden dampfen. Lautstark schimpft eine Delegation von Abgeordneten aus Rom über Vernachlässigung, Schlamperei und Misswirtschaft. Schuld sind immer die anderen: die Linken, die Rechten, die Kulturpolitiker, die Denkmalpflege. Die Opposition hat einen Misstrauensantrag gegen den zuständigen Kulturminister Sandro Bondi gestellt, doch der denkt nicht daran, zurückzutreten. „Ich habe viel für Pompeji getan“, sagte er vor dem Parlament, das bald darüber abstimmen wird.

Der örtlichen Denkmalpflege hat er dafür einen Maulkorb verordnet, auch die kommissarische Superintendentin, Jeannette Papadopoulos, darf mit der Presse nicht mehr reden. Seit Jahren ist die Denkmalpflege heftig umstritten, wird geklagt über den Zustand der Ruinen, über Touristennepp und streunende Hunde. Als Silvio Berlusconi im Frühjahr 2008 wieder ins Amt gewählt wurde, verhängte er prompt den Notstand über Pompeji, das seit 1997 zum Weltkulturerbe der Unesco gehört. Dem damaligen Superintendenten, Pietro Giovanni Guzzo, einem international renommierten Archäologen, setzte er einen Sonderkommissar vor die Nase. Guzzos Warnung, dass Italiens antikes Erbe zu Tode gespart wird, hat sich bewahrheitet.

Symbol für den Verfall des Staats

Nur noch 0,2 Prozent des Etats fließen in die Kultur, in ganz Italien bröckeln die Denkmäler. Pompeji ist auch zum Symbol für den Staatsverfall geworden. Zwar werden jährlich 20 Millionen Euro mit Eintrittsgeldern erwirtschaftet, doch das reicht nicht. Weitere Einstürze könnten jederzeit folgen, warnen Archäologen, nicht nur in Pompeji. „Solange die Häuser von Asche bedeckt waren, konnten ihnen Wind und Wetter nichts anhaben“, sagt De Simone. „Sobald sie aber ans Tageslicht kommen, müssen sie nicht nur restauriert, sondern vor dem Verfall geschützt werden.“ Das kostet viel mehr Geld, als durch die Eintrittsgelder hereinkommt.

Nur neun Archäologen und drei Restauratoren arbeiten bei der örtlichen Denkmalpflege. Auch Wachpersonal gibt es viel zu wenig. Genüsslich berichtete eine Lokalzeitung, wie einfach es ist, Mosaikteilchen hinauszuschmuggeln, obwohl es seit einigen Jahren eine Videoüberwachung gibt.

Private Geldgeber gesucht

„Wir können nicht alles im Auge haben“, sagt Wachmann Peppino. Und stößt schließlich hervor, dass es ja Warnungen gegeben hat für das Haus der Gladiatoren. „Passiert ist nichts.“ Die Meldung der Kollegen, drei Tage vor dem Einsturz, ist schriftlich dokumentiert. Jetzt ermittelt die Staatsanwaltschaft zu der „angekündigten Katastrophe“, wie es ein Gewerkschafter nennt.

Die Regierung sucht unterdessen nach privaten Investoren für Stätten wie Pompeji. Der Geschäftsmann Silvio Berlusconi interessiert sich für Kultur ohnehin nur, wenn sie sich vermarkten lässt. Archäologen stehen solchen Plänen skeptisch gegenüber: „Es ist eine nationale Aufgabe, ein Erbe der Menschheit wie Pompeji zu erhalten“, sagt Antonio De Simone. Mindestens 25 Jahre würde es wohl dauern, die Anlage umfassend zu restaurieren, meint er.

Und dabei ist noch längst nicht die ganze Stadt freigelegt oder gar zugänglich. Das beklagen auch Besucher immer wieder. Der Archäologe denkt eher konservativ, im Wortsinne: Lieber weniger ausgraben und sich mehr um die Konservierung kümmern.

("Die Presse", Print-Ausgabe, 02.12.2010)

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