Pizzicato

Die Prinzipalin

Das Letzte, was die meisten Deutschen von ihrer ewigen Kanzlerin zu sehen bekamen, ehe sie ihr Büro akkurat an Olaf Scholz übergab, war das Abschiedskonzert beim Großen Zapfenstreich der Bundeswehr im Advent.

Ironisch-kokett, aber recht blechern erklangen da Nina Hagens „Du hast den Farbfilm vergessen“ und Hildegard Knefs „Für mich soll's rote Rosen regnen“.

Sieben Monate später kehrte Angela Merkel zurück auf die Bühne des Berliner Ensemble am Schiffbauerdamm, gleich um die Ecke von ihrer Wohnung. Draußen fließt die Spree, und davor wacht Bertolt Brecht als Skulptur über sein Theater. Die Berliner strömten herbei zur Heimkehr ihrer „Mutter Courage“, und sie erhofften sich von der Philosophin der Realpolitik prophetische Worte zum Krieg vor der Haustür. Nur Claus Peymann, der langjährige Prinzipal, der dieser Tage seinen 85. Geburtstag feierte, fehlte. Zum Abschluss hob die coole Angie die Hand zum High Five mit ihrem Interviewer.

Bei Spaziergängen an der Ostsee hatte die Polit-Pensionistin wochenlang Kopf und Seele ausgelüftet. Im Hoodie hörte sie im einstigen Wahlkreis Hörbücher – darunter „Macbeth“ und „Don Carlos“ –, als wollte sie sich als Prinzipalin und Theatermacherin fürs Berliner Ensemble bewerben. Den Farbfilm brauchte sie auf Hiddensee, unmittelbar bei Rügen, ohnehin nicht mehr. (vier)

Reaktionen an: thomas.vieregge@diepresse.com

("Die Presse", Print-Ausgabe, 09.06.2022)

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