Porsche

Flucht aus dem Museum

(c) Juergen Skarwan
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Mehr Bürzel als in Entenhausen: Porsche feiert 50 Jahre der Legende RS.

1972, man war vielleicht schon auf der Welt, mit Windeln oder ohne, da war der Porsche 911 ein junger Hüpfer – in seiner ersten Generation, dem Urmodell, noch keine zehn Jahre auf dem Markt. Das 1963 präsentierte Modell war ein großer Erfolg für die kleine Marke – andernfalls würde sie auch kaum noch existieren, denn viel mehr hatte sie nicht im Sortiment. Vom heutigen Rang der Ikone war der 911er noch weit entfernt. Bei aller Kompetenz, die Porsche im Rennsport an den Tag legte (und die Nacht, wenn wir von den Erfolgen in Le Mans reden), bei aller Schönheit seiner Form und den guten Anlagen seiner Konstruktion – gerade als Sportwagen hatte er noch Luft nach oben. Das monierte der ein oder andere Kunde, der seinen Porsche auf der Rundstrecke betrieb und zusehen musste, wie billigere Autos in den Kurven zurückholten, was man soeben auf der Geraden herausgefahren hatte. Die zudringlichen Feinde hießen Ford Capri und BMW 1602/2002. Peinlich!

Das Murren und Maulen drang irgendwann zu Ferry Porsche durch, und der Chef ließ den Leiter vom Karosseriebau und einen jungen Ingenieur mit aerodynamischer Vorbildung, noch frisch von der Hochschule, in seinem Büro antreten. Eine Lösung für das Ärgernis musste her, sie durfte in der Entwicklung nicht zu viel kosten und musste zum Nachrüsten geeignet sein – und natürlich eilte es.

Der junge Techniker hieß Tilman Brodbeck und hatte absolut keine Ahnung, wo anzupacken wäre. Heute, 76-jährig, erinnert er sich an die aufbauenden Worte, die sein Chef im Anschluss an Ferry Porsches Briefing für ihn hatte: „Machen Sie mal was.“

Was Brodbeck dann machte, oder woran er maßgeblich beteiligt war, wurde zum Meilenstein für die Marke. „Viele fanden es scheußlich, und die wenigsten konnten sich vorstellen, dass es einen großen Effekt haben sollte.“ Aber der auffällige Heckspoiler, Erkennungsmerkmal des 911 Carrera RS 2.7 von 1972, veränderte das Fahrverhalten grundlegend. Woran der Elfer bis dahin gelitten hatte, war hoher aerodynamischer Auftrieb, eine Folge der zwar zeitlos schönen, aber strömungstechnisch ungünstigen Karosserieform. „Ähnlich wie ein Flugzeugflügel“, so Brodbeck, „nur für ein Auto falsch herum.“ Das Flugzeug soll fliegen, das Auto am Asphalt picken. Kein Geheimnis: In den Sixties packte man dem 911er Blei in die Stoßfänger, weil er bei hoher Geschwindigkeit zu leicht wurde. Immerhin hatte man sich in Brodbecks Abteilung zuvor schon der Vorderseite angenommen, mit einem Bugspoiler, der die elegant nach hinten fliehende Stoßstange ersetzte und den Auftrieb vorn um die Hälfte reduzierte. Auf Effekte dieser Art war man bereits im Rennsport gekommen.

Aber die Musik beim 911er spielt hinten. Im Karosseriebau begann das große Basteln mit Schweißdraht und Blechen, bis das Team die Zeit für reif hielt, den Windkanal der TU Stuttgart zu buchen. Dort reichten zweieinhalb Tage, um zu vielversprechenden Ergebnissen zu kommen. In Position, Höhe und Breite hatte Brodbeck nun sein Teil – und es sah wüst aus. Der Gang ins „Studio“ stand ihm bevor, zu den Designern. Denen war die Form heilig. „Ist ja auch einmalig schön“, sagt Brodbeck. „Und dann komm ich mit so einem Klotz daher.“

Im Fahrversuch wurden die Erkenntnisse aus dem Labor mehr als bestätigt: Wer immer fuhr, wähnte sich in zwei verschiedenen Autos. Das jedoch immer dasselbe war, mit und ohne Bürzel. Eindeutig schneller war man mit. In der Variante fuhr der 911 stabiler und sicherer. Für Teile der Außenwelt schwer zu begreifen: Das Ding, das noch dazu scheußlich aussah, sollte diesen Effekt haben? Brodbeck: „Man war noch nicht so weit, die Zusammenhänge aus Abtrieb, cw-Wert und Fahrverhalten herzustellen.“

»Heilige Form! »Dann kommt der Brodbeck mit dem klotz daher.««

Aber es war so. Mit Brodbecks Heckspoiler gelang es, die Luftströmung ohne energieraubende Verwirbelungen weiter nach hinten zu führen und dort sauber abreißen zu lassen. Damit – und mit dem Bugspoiler – reduzierte sich der Auftrieb des ganzen Autos um die Hälfte, gleichzeitig verbesserte sich der Luftwiderstand. Viereinhalb km/h mehr Topspeed, vor allem schneller und sicherer in Kurven. Das wäre bei heutigen Fabrikaten mit ihrer ausgefeilten Aerodynamik nicht mehr möglich. „Wohlgemerkt“, sagt Brodbeck, „sprechen wir von der Reduzierung des Auftriebs. Zum Abtrieb kam man erst viel später.“

Aber noch war das Trumm nicht auf der Straße. Porsche hatte beschlossen, ein damit ausgerüstetes, neues Modell als Basis für den Rennsport („RS“) zu lancieren – erforderliche Auflage gemäß Reglement: 500 Stück. Neben dem Bürzel gab es weitere Neuheiten: den auf 2,7 Liter vergrößerten Boxer, nun 210 PS stark, und die Premiere der Mischbereifung, also hinten breitere Räder (und auch eine breitere Spur) als vorne. Erstmals erhielt der 911 den Beinamen Carrera. Zwei Hürden waren noch zu nehmen. Das Kraftfahrtamt verweigerte die Zulassung. Am Heckspoiler missfiel die harte Kante, man hielt sie für eine „Gefahr für Radfahrer und Motorradfahrer“. Porsche errang, auch unter Verweis auf die geringe Stückzahl, einen Kompromiss mit verkleinertem Bauteil. Schließlich hielt der Vertrieb das Auto für so gut wie unverkäuflich. „Maximal 100 Stück für die ganze Welt“, schnaubte der Vertriebschef. Der Vorstandsvorsitzende musste ein Machtwort sprechen.

Die 500 Stück waren binnen zweier Monate verkauft. Porsche baute 1080 weitere. Der Grundpreis betrug 34.000 DM für die asketische Sport-Variante (960 kg) – das Minderheitenprogramm, denn die meisten Kunden erwärmten sich durchaus für etwas Komfort mit dem Touring-Paket (plus 110 kg, 2500 DM).

Wir sind freilich entzückt, einem 1972er-RS in unverzärtelter Ausführung zur Flucht aus Porsches Stuttgarter Depot verhelfen zu dürfen. Es ist der Ausflug in eine Zeit, als Autofahren noch die Hauptbeschäftigung beim Autofahren war. Vielleicht auch Arbeit, aber Arbeit, die man liebt. Von Launen lässt uns der weiße RS nichts spüren. Au contraire. Ferry Porsche hat ja immer den Anspruch gehabt, keine Diven, sondern solide, verlässliche, ja robuste Autos zu bauen, vielleicht, weil man es aus Italien zuweilen ein bisschen anders kannte. Freilich erfährt das Auto, das 50 Jahre auf dem Bürzel hat, liebevolle Pflege aus denkbar kundiger Hand, und wird oft genug bewegt, um sich nicht zu grämen. Der Motor springt ohne langes Bitten ins Leben und rumort fröhlich im Heck, motiviert wie ein Ingenieur an seinem ersten Arbeitstag in Weißach. Vieles an dem Auto könnte man aus heutiger Sicht für selbstverständlich halten, was es damals gewiss nicht war, so die Verträglichkeit des Fahrwerks ohne ungebührliche Härte, das sauber zu schaltende Getriebe, das für die Autobahn einen fünften Gang hatte, die bummfeste Traktion, die Standfestigkeit der Bremsanlage etc. – womit aber kaum zu rechnen war, ist die enorme Elastizität des Motors, der keine hohen Drehzahlen braucht, um sich mühelos durchzusetzen. Man versteht die Beliebtheit des Touring-Pakets damals, oder warum es Sinn ergeben hat: Vom Charakter ist dies ein bilderbuchhafter GT, ein Daily Driver für sportlich gesinnte Menschen ebenso wie verbissener Racer, der ab 5000 Touren – und es geht bis über 7000 – nochmals ganz anders zulangt.

Schwer zu glauben, dass dies ein Exemplar im originalen Zustand ist (wie man uns aber glaubhaft versichert), so taufrisch wirkt das Interieur, so umgänglich die Mechanik. Einzig die Sicherheitsgurte sind auf modernen Standard umgerüstet. Kopfstützen haben die weich geschäumten, engen Schalensitze nicht zu bieten. Wir erfreuen uns an In­strumenten mit erkennbar regionalem Bezug: OEL, TANK, TEMPERATUR, OELDRUCK – Zeugnis einer Ära, als es noch einen Unterschied machen durfte, aus welcher Ecke der Welt etwas herkommt.

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