Ukraine-Krieg

Ukrainische Stadt Sjewjerodonezk vor dem Fall

Die Chemiefabrik Azot: Die Anlage wird nach ukrainischen Angaben von Hunderten Zivilisten als Luftschutzbunker genutzt.
Die Chemiefabrik Azot: Die Anlage wird nach ukrainischen Angaben von Hunderten Zivilisten als Luftschutzbunker genutzt. APA/GROUPDF
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Russische Truppen haben eine Chemiefabrik in Sewerodonezk beschossen. Der ukrainische Präsident Selenskij nennt den Kampf um die Stadt im Osten „eine der vielleicht schwersten Schlachten des Krieges“.

Im Osten der Ukraine setzen russische Truppen nach ukrainischen Angaben ihre Angriffe auf Wohn- und Industriegebiete in der schwer umkämpften Stadt Sjewjerodonezk fort. Durch den Beschuss der Chemiefabrik Azot seien vier Menschen getötet worden, schrieb der Gouverneur des Gebiets Luhansk, Serhij Hajdaj, am Donnerstag auf Telegram. Das Schicksal des Donbass im Osten der Ukraine entscheide sich nach den Worten von Präsident Wolodymyr Selenskij mit dieser Schlacht.

Die Anlage wird nach ukrainischen Angaben von Hunderten Zivilisten als Luftschutzbunker genutzt. Eine vergleichbare Einkesselung durch russische Truppen wie bis vor kurzem in der Hafenstadt Mariupol drohe derzeit jedoch nicht. Von russischer und prorussischer Seite wird immer wieder der Vorwurf geäußert, die Ukrainer hätten die Zivilisten in die Azot-Keller gelockt und das Gelände dann vermint. Belege dafür gibt es nicht. Mehr als 90 Prozent des Luhansker Gebiets, in dem Sjewjerodonezk liegt, ist von Russland bereits besetzt. Eine Evakuierung von Sjewjerodonezk sei nach Angaben des Bürgermeisters nicht mehr möglich. Etwa 10.000 Zivilisten seien noch in der Stadt, sagt Olexander Strjuk.

Heftige Straßenkämpfe, Forderung nach Langstrecken-Waffen

Ukrainische Kräfte kontrollierten unterdessen weiterhin das Industriegebiet und angrenzende Bereiche. Die Lage sei schwierig, aber zu bewältigen. In Sjewjerodonezk gab es am Donnerstag den örtlichen Behörden zufolge heftige Straßenkämpfe. Das russische Militär nehme jene Viertel unter Beschuss, die noch unter ukrainischer Kontrolle seien, hieß es. Russische Truppen zerstörten "alles, was zur Verteidigung genutzt" werden könne. Sobald das ukrainische Militär aber über Langstrecken-Waffen verfüge, könne es die Stadt "aufräumen", so Gaidai. Angaben aus dem Kriegsgebiet können unabhängig nicht überprüft werden.

Das ukrainische Verteidigungsministerium berichtete von einer Gegenoffensive in der südukrainischen Region Cherson. Dabei sei einiges an Territorium zurückerobert worden, teilt das Ministerium in Kiew mit. Russland habe Soldaten und Material verloren. Bei ihrem Rückzug würden die russischen Truppen Gelände verminen und Barrikaden errichten. Einzelheiten wurden nicht genannt. Berichte aus dem Kampfgebiet können unabhängig nicht überprüft werden.

„Hier wird über Schicksal des Donbass entschieden"

Der ukrainische Präsident Wolodymyr Selenskij prangerte die russische Blockade ukrainischer Schwarzmeer-Häfen an. Die Welt stehe am Rande einer "fürchterlichen Nahrungskrise", weil die Ukraine große Mengen an Getreide, Ölen und anderen Agrarprodukten nicht exportieren könne, sagt Selenskij in einer im Fernsehen übertragenen Rede. "Millionen Menschen könnten Hunger leiden, wenn die russische Blockade im Schwarzen Meer anhält." Russische Kriegsschiffe kontrollieren das Schwarze Meer und das Asowsche Meer, über die die Ukraine vor dem Krieg große Mengen an Lebensmitteln verschifft hat.

Zu den Gefechten im Donbass sagte Selenskij in einer Videobotschaft: "Das ist ein sehr brutaler Kampf, sehr hart, vielleicht der schwierigste in diesem ganzen Krieg“. Hauptkriegsschauplatz in dem Gebiet bleibe Sjewjerodonezk. "Im Wesentlichen ist es hier, wo über das Schicksal unseres Donbass entschieden wird." Der ukrainische Generalstab teilte am Donnerstag mit, die russische Armee greife mit Artillerie und Mehrfachraketenwerfern an und ziele in Sjewjerodonezk und anderen Orten auf die zivile Infrastruktur. Russland weist Vorwürfe zurück, nichtmilitärische Ziele anzugreifen.

Deutschland will bei Behandlung von Schwerverletzten helfen

Der deutsche Gesundheitsminister Karl Lauterbach will am Donnerstag bei einem Besuch in der Ukraine deutsche Hilfe bei der Versorgung von Verletzten anbieten. Dies kündigte der SPD-Politiker im Deutschlandfunk an. Dabei gehe einerseits um Behandlungen in Deutschland, aber auch um die Versorgung Verletzter in dem kriegsgeplagten Land selbst. Lauterbach nannte konkret Hilfen für Menschen mit schweren Verbrennungen sowie für Menschen, die im Krieg Gliedmaßen verloren haben.

Polens Präsident Andrzej Duda kritisierte die Telefonate von Bundeskanzler Olaf Scholz und Frankreichs Präsident Emmanuel Macron mit dem russischen Staatschef Wladimir Putin. "Diese Gespräche bringen nichts. Sie bewirken nur eine Legitimierung eines Menschen, der verantwortlich ist für Verbrechen, die von der russischen Armee in der Ukraine begangen werden", sagt er der Zeitung "Bild" einem Vorabbericht zufolge. "Hat jemand so mit Adolf Hitler im Zweiten Weltkrieg gesprochen? Hat jemand gesagt, dass Adolf Hitler sein Gesicht wahren können muss?", zitierte das Blatt Duda. Solche Stimmen kenne er nicht. "Alle wussten: Man muss ihn besiegen."

Volkswagen bietet einer russischen Zeitung zufolge den Mitarbeitern in einem seiner zwei Werke im Land eine Abfindung von bis zu sechs Monatsgehältern an, wenn sie den Autohersteller freiwillig verlassen. "Kommersant" zitierte Angaben aus Gewerkschaftskreisen, wonach das Angebot bis zum 17. Juni gelte und an die 200 Mitarbeiter des Nischni-Nowgorod-Werks gerichtet sei. Auch die Krankenversicherungsbeiträge sollen bis Ende des Jahres übernommen werden.

(APA/dpa/AFP/Reuters)

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