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Kunst & Kultur

Traumdeutung mit der Zeichenfeder

Alfred Kubin: „Der beste Arzt“, um 1901
Alfred Kubin: „Der beste Arzt“, um 1901(c) Leopold Museum
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Kubin. Die große Alfred-Kubin-Ausstellung „Bekenntnisse einer gequälten Seele“ im Leopold Museum zeigt das Werk des Zeichners in seinem Bezug zum Unterbewussten auf.

Wien. Tierische Zerrbilder, weibliche Dämonen, maskiert oder unmaskiert, bedrohliche riesenhafte Ungeheuer, apokalyptische Mischwesen, Monster, die aus den unbekannten Tiefen des Meeres, dem Höllenschlund oder den Abgründen der Seele entstiegen scheinen; die von Macht, Ohnmacht und dunklen Mächten wie Krieg, Krankheit, Pandemien, Tod und Untergang erzählen und diese vor sich hertragen, sie prophezeien oder selbst davon gezeichnet sind. Immer wieder treffen sie auf Individuen oder auf die Gesellschaft, verkörpert durch im Verhältnis oft winzige Menschlein. Es ist nur ein Auszug des Schreckensinventars, das sich in der aktuellen Alfred Kubin (1877–1959) gewidmeten Ausstellung im Bauch des Leopold Museum tummelt.

Beigesteuert wird es nicht nur vom Protagonisten der Schau, sondern auch von Seelenverwandten, die er schätzte und die in der Ausstellung in einen Dialog mit Kubins Werk gesetzt werden, Künstler des Fin de Siècle und Symbolismus ebenso wie kunsthistorische Vorläufer: Max Klinger etwa, James Ensor, Gustave Moreau, Odilon Redon, Edvard Munch oder auch Francisco de Goya als künstlerischer Ahne. Mit ihnen gibt es bald inhaltliche, bald stilistische Überschneidungen. Vor allem Goya mit seinen düster-analytischen wie präzisen Blättern mit ihren scharfgeführten Strichen, harten Kontrasten und der vollständigen Durchgestaltung jeder auch nur kleinsten Fläche des Bildes sei hier hervorgehoben.

„Epidemie, Blatt 7 aus der Hans von Weber-Mappe“, 1903
„Epidemie, Blatt 7 aus der Hans von Weber-Mappe“, 1903(c) Leopold Museum Privatsammlung

Kunst als Ausweg

„Es war mir ein Anliegen, Kubins Inspirationsquellen im direkten Dialog mit ihm seelenverwandten Künstlern zu zeigen“, sagt Hans Peter Wipplinger, Direktor des Leopold Museum, der in dieser Schau auch als Ausstellungskurator fungierte. Für die längst fällige Präsentation konnte er aus dem Vollen schöpfen – nicht nur dank bedeutender Leihgaben von Privaten und aus den größten öffentlichen Kubin-Sammlungen wie der Grafischen Sammlung des Landes Oberösterreich, der Albertina und des Münchner Lenbachhauses. Auch das Leopold Museum selbst verfügt aufgrund der Sammelleidenschaft seines Gründers Rudolf Leopold über einen rund 300 Werke umfassenden Bestand an Zeichnungen, Druckgrafiken und Mappenwerken Alfred Kubins, von denen nun – 20 Jahre nach der letzten Kubin-Ausstellung im Leopold Museum – rund 80 Spitzenblätter wieder zu sehen sind.

„Das Grausen“, um 1902
„Das Grausen“, um 1902Leopold Museum

Den inhaltlichen und thematischen Leitfaden gibt die Persönlichkeit Alfred Kubin selbst vor, der in seinem Werk wie kaum ein anderer Künstler die eigenen seelischen Qualen und Zustände analysierte und reflektierte. „Alfred Kubin ist als Künstler mit einer unglaublichen Direktheit, Offenheit und Radikalität an seine Ängste und Zwänge herangetreten“, sagt Wipplinger und spielt damit auf die schwierige Biografie des hochsensitiven Künstlers an, bei dem schon in der Kindheit und Jugend traumatische Vorkommnisse tiefe Spuren hinterlassen haben: schulisches Versagen, der frühe Verlust der Mutter, sexueller Missbrauch, Depressionen, Nervenkrisen, ein Selbstmordversuch. Einen Ausweg fand der 21-Jährige schließlich in der Kunst, angestoßen durch die Übersiedlung nach München 1898 zum Kunststudium: Sie war ihm ein Ventil, seine Ängste zu verarbeiten und zu seinem „Kapital“ zu machen – zum „einzigen Kapital, das ich habe“, wie er am Totenbett sagte.

Angstszenarien

„Bei einem Künstler, dessen Werk sich dermaßen aus Schicksalsschlägen speist wie bei Kubin, ist eine Trennung von Kunst und Leben schlichtweg nicht möglich“, sagt Wipplinger. Hier setzt die Ausstellung auch an und schlägt gleichsam eine psychoanalytische Lektüre der Werke als Seelenbekenntnisse vor. In zwölf Themeninseln werden Kubins Ängste und Bedrohungsszenarien vor dem Hintergrund des Unterbewussten beleuchtet: Eros und Thanatos, die vielen Facetten des immer schwierigen Verhältnisses zu den Frauen samt männlicher Fantasien von Allmacht wie auch Ohnmacht, Sadismus und Masochismus, dazu gesellschaftliche Ängste vor Krankheiten, Apokalypse, Krieg. Den Schlüssel zur Lektüre all dieser Themen gibt die Welt des Traums mitsamt seiner Funktionsweisen, Mechanismen und seinem unerschöpflichen Reservoir an Bildern. Kubin wusste sich seiner wie kein anderer zu bedienen. Er betrieb gleichsam Traumdeutung durch die Kunst.

„Der Krieg“, 1907
„Der Krieg“, 1907(c) Städtische Galerie im Lenbachhaus © Eberhard Spangenberg, München/Bildrecht, Wien 2022

Auf einen Blick

Alfred Kubin bis 24.7.

Der Blick aus dem Rahmen bis 29.8.

Franz Hagenauer bis 12.9.

Geschäfte mit Kopien bis 28.8.

Öffnungszeiten: Täglich außer Dienstag 10 bis 18 Uhr. Feiertags geöffnet! Juli und August täglich 10 bis 18 Uhr. PORR NIGHT: Jeden 1. Donnerstag im Monat freier Eintritt 18 bis 21 Uhr, (7.7., 4.8., 8.9.)

www.leopoldmuseum.org

Information

Diese Seite erscheint mit finanzieller Unterstützung des Leopold Museum.

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Otto Schmidt, „Frau Sopherl“ [„Öbstlerin vom Naschmarkt“, aus Wiener Typen], um 1900 [Aufnahme 1885]
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