Zoologie

Ziehen Meisen im Sommer aufs Land?

Blaumeise (l.) und Kohlmeise sind Insektenfresser, aber nehmen gern Körnerfutter an.
Blaumeise (l.) und Kohlmeise sind Insektenfresser, aber nehmen gern Körnerfutter an.Getty Images
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Durch größer werdende Städte verändert sich die Umwelt für viele Wildtiere. Forschende der Uni Innsbruck untersuchen an Kohl- und Blaumeisen, wie ihre Nahrung und die Grünflächen der Stadt und Umgebung das Verhalten und die Gesundheit der Tiere beeinflussen.

Wenn es irgendwo gratis Futter gibt, kommen alle gern. Das gilt nicht nur bei Freibier-Angeboten für Menschen, sondern auch für Wildtiere, die Nahrung in menschlichen Siedlungen sammeln. Bekanntestes Beispiel sind Vogelhäuschen und Futterspender, die viele Vögel anlocken. Ein Team der Uni Innsbruck untersucht am Beispiel der Blaumeisen und Kohlmeisen, wie stark solche Futterangebote das kleinräumige Wandern der Tiere beeinflussen.

Hintergrund ist, dass die Städte unserer Welt immer größer werden und diese Urbanisierung auch Einfluss auf das Leben der Wildtiere hat. Marion Chatelain und Michael Traugott vom Department für Zoologie vergleichen dabei den gesamten Gradienten von Stadtzentrum, Wohnvierteln, Industriegebieten, Vororten, ländlichen Bereichen und Waldflächen – in Innsbruck und den Orten Völs, Neugötzens, Mutters, Natters, Lans, Sistrans, Aldrans, Rum und Ampass. „Vorherige Studien verglichen meist einen Punkt in der Stadt mit einem Punkt auf dem Land“, sagt Marion Chatelain, die das Projekt im Rahmen ihres Lise-Meitner-Stipendiums des Wissenschaftsfonds FWF leitet. Doch die Veränderungen der Landschaft und der Klimabedingungen sind viel kleinräumiger und können auch innerhalb einer Stadt variieren, wenn man an so unterschiedliche Orte wie Hofgarten, Innufer oder Olympisches Dorf denkt. Zudem ist die Vegetation in Städten oft exotischer als außerhalb. „Wir haben an 180 Orten in und um Innsbruck fast 500 Blau- und Kohlmeisen gefangen und individuell markieren können“, sagt Chatelain. Das Fangen, Beringen und Vermessen belasten die Vögel nur wenige Minuten. Mit Alarmrufen vom Tonband werden die Meisen in die Büsche gelockt, wo sie in tierfreundlichen Netzen hängen bleiben. Die Zoologinnen und Zoologen „pflücken“ die Meisen sanft aus dem Netz, nehmen schnell alle Proben und Daten auf, setzen die Meisen in einen kleinen Käfig, wo sie ein Vogelpatzerl machen können, und lassen sie dann wieder frei. So erfahren die Forschenden aus den Kotproben, was das Tier gegessen hat, aus den Federn, welche Metall- und Schadstoffkonzentrationen in seiner Umgebung waren, und aus der Muskelmasse, wie gut entwickelt das Tier ist.

Insekten versus Meisenknödel

„Meisen sind Insektenfresser, aber sie nehmen gern die Nahrung in den Städten an, also Samen, Meisenknödel und Ähnliches“, sagt Chatelain. Da die Vögel zur Aufzucht der Jungen hauptsächlich Insekten (Protein) brauchen, gehen die Forschenden davon aus, dass die Meisen im Winter stärker in die Städte kommen, um das leicht verfügbare Futter zu holen, aber im Frühling und Sommer aufs Land ziehen, um ihre Küken mit bester Insektennahrung zu versorgen.

Der erste Schritt war, die Vielfalt und Menge an Insekten in der Stadt und Umgebung zu bestimmen. „In Innsbruck gibt es teilweise sogar mehr Insekten als auf dem Land“, sagt Chatelain. Manche Arten profitieren von der Urbanisierung, etwa Blattläuse, Staubläuse und Fliegen. Andere Tiergruppen kommen in der Stadt seltener vor, z. B. Spinnen. „In Innsbruck war aber die Artenvielfalt geringer als im Umland“, so Chatelain, die derzeit auf die Ergebnisse der Kotproben wartet. Die DNA-Auswertung wird verraten, welche Insekten und Samen Meisen in welcher Jahreszeit bevorzugen.

Auch die Isotopenbestimmung und die der Metallkonzentrationen aus dem Gefieder sind noch nicht abgeschlossen. Chatelain konnte bereits zeigen, dass die Zinkkonzentration in Vogelfedern zunimmt, je städtischer ihre Umgebung ist. „In den Federn sind die Umweltbedingungen nach der letzten Mauser der Vögel gespeichert: So können wir abschätzen, wo das Tier war.“ Manche Individuen kommen sogar aus Litauen oder Polen im Sommer zu uns, wo Meisen als Zugvögel leben. Hiesige Exemplare bleiben fast alle durchgehend in Österreich. „Wir sind auf die Mitarbeit der Bevölkerung angewiesen: Die Meisen unserer Studie haben Farbringe an den Beinen. Jeder, der solche Vögel sieht, kann uns das melden, damit wir das Wanderverhalten bestimmen können.“

Melden Sie Meisen mit Farbringen in und um Innsbruck an: marion.chatelain@uibk.ac.at

("Die Presse", Print-Ausgabe, 11.06.2022)

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