Gastkommentar

Professor gefunden, dann erst gesucht?

Ausschreibung Med-Uni Wien. Wenn das Ergebnis einer Bestellung schon festzustehen scheint, wer wird sich noch bewerben?

Der Autor

Dr. Johannes Miholic (* 1948) ist niedergelassener Facharzt für Chirurgie in Wien.

Im Herbst 1952 beschlossen führende Professoren der Medizinischen Fakultät in Wien für den freiwerdenden Lehrstuhl der II. Chirurgischen Universitätsklinik eine internationale Berühmtheit, Rudolf Nissen, als einzigen dem Ministerium zur Besetzung vorzuschlagen. Nissen zählte zu den Pionieren der Lungenchirurgie, die auf der ehemaligen Billroth-Klinik als Schwerpunkt implementiert werden sollte. Er war von allen in Betracht genommenen Kandidaten – zeittypisch nur Männer – die erste Wahl. Eine kleine, aber entschlossene Gruppe im Gefolge des scheidenden Klinikvorstands verabredete sich jedoch gegen den Vorschlag. Sie verhinderte Nissen und hob den gerade in Theorie und chirurgischer Praxis bescheidensten der Bewerber auf den Schild. Fast 70 Jahre später zeigt sich, dass sich nicht viel geändert hat: Wissenschaft bedeutet Hegemonie, und immer schon spielte Politik in den Wissenschaftsbetrieb hinein, wie auch – seltener und langsamer – Wissenschaft als Aufklärung die Geschichte formte.

Wissenschaft gedeiht in offenem Wettstreit von Ideen und Wagnissen. Protektionismus hemmt die Entfaltung von Ideen, Innovation und Fortschritt, selbst da, wo Entscheidungsträger die Zukunft der Forschung vorauszusagen imstande zu sein glauben. Doch die Entdeckungen durch Zufall, die alle entschiedenen Durchbrüche kennzeichnen, lassen sich nicht vorhersagen, auch wenn ein Rektor eine solche Vorhersage – und somit Richtlinienkompetenz – zu seinen Aufgaben wähnen sollte.

Während sich früher der Staat, der ja die Universitäten finanziert, die Berufungspolitik oft im Sinne einer Unabhängigkeit der Wissenschaft vorbehielt, hat sich der Zahler in den rezenten Universitätsgesetzen aus der Rolle des Anschaffers zurückgezogen. Dies geschah im Zuge einer Wandlung des Selbstverständnisses von Hochschulen in Richtung eines Unternehmens – mit allen erwünschten und unerfreulichen Nebenwirkungen. Die im Zuge der neuen Universitätsverfassungen gestärkte personalpolitische Kompetenz der Rektoren war und ist ein wiederholt kritisiertes Nebenwirkungsgeflecht. So ist eine Struktur entstanden, in der Hegemonie der Freiheit der Wissenschaft im Wege steht.

Wissenschaftsgeschichte ist die Disziplin, die auch über diese Zusammenhänge nachdenkt. Die Medizinische Universität hat, als einzige Institution in Österreich ein traditionsreiches Institut für Geschichte der Medizin. Es hat eine ruhmvolle und bewegte Geschichte selbst, und ist in einem der schönsten Gebäude der Hauptstadt, dem Josephinum beheimatet. Es erstrahlt nach Jahren der Renovierung in neuem Glanz und feiert seine Wiederauferstehung mit der Ausschreibung dieser Professur, nach § 98 mit Berufungskommission und externer Evaluierung der Bewerber. Läuft den erwünschten Weg der Betrauung der Besten, sollte man meinen. Erstaunlicherweise scheint es ein offenes Geheimnis, dass diesem Berufungsverfahren nicht die erwünschte Fairness innewohnt. Man mutmaßt, dass der in der Ausschreibung verlangte Schwerpunkt in Zeitgeschichte kein Zufall ist, dem der Hautgout einer Kronprinzenregelung innewohnt. Es gilt die Unschuldsvermutung. Der Risiken bewusst, erklären Kandidatinnen sich nicht von einer verschworenen Interessensgemeinschaft vorführen lassen zu wollen.

Eine selffulfilling prophecy: Wenn das Ergebnis schon festzustehen scheint, werden sich wohl kaum Bedeutende bewerben? Hier verwirklicht sich der Schönheitsfehler des neueren Universitätsrechts: die Selbstentlassung des Staates, der obgleich Zahler, sich aus dem Anschaffen verabschiedet hat. Hier scheint Handlungsbedarf vorzuliegen, videant consules!

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