Gegengift

Ein kleiner Dämpfer für die große Reiselust der Russen

Die Kreml-Herren traten aus der Welttourismusorganisation aus, kurz bevor sie ausgetreten wurden. Ist das ein gutes Zeichen?

Die global agierende Abteilung Fernweh im Gegengift gilt als besonders anfällig für interne Konflikte. Während eine ihrer militanten Untergruppen wegen Corona vor allem darüber klagte, dass es immer weniger Langstreckenflüge gebe, die zudem viel zu gering subventioniert würden, propagierte eine weitere militante Untergruppe ökologisches Bewusstsein: In pandemischer Zeit und danach sei das Lastenrad unser einzig legitimes technisches Hilfsmittel der Fortbewegung. Natürlich ohne Akku.

Naturgemäß hat folgende Agenturmeldung bei diesen Antagonisten und auch bei unserer schweigenden Mehrheit der Fernweher eingeschlagen wie eine Bombe: Russland ist jetzt tatsächlich endgültig aus der Welttourismusorganisation ausgetreten! Begründet wurde der Schritt vom Kreml mit der „Politisierung“ der UNWTO. Überraschend war er nicht. Schon zuvor hatte die UN-Generalversammlung das Land wegen des Angriffs auf die Ukraine vom Menschenrechtsrat suspendiert. Auch die UN-Touristiker setzten solch einen Schritt.

Bis Ostern haben die meisten von uns hier in Erdberg gar nicht gewusst, dass es die UNWTO gibt, geschweige denn, dass ihr gut 150 Staaten angehören, die sich für nachhaltigen und allgemein zugänglichen Tourismus einsetzen. Dafür haben wir jetzt umso stärkere Meinungen dazu, was Moskaus Abgang weltpolitisch bedeutet.

„Schade!“, sagten unsere Jetsetter, „die Russen gelten als besonders reiselustig. Wir werden die Partys auf den Jachten der Oligarchen vor Monaco, Mykonos oder Marmaris vermissen.“ Hoffentlich blieben ihnen wenigstens die Araber verbunden. Auf deren Schiffen gebe es ohnehin den besseren Jahrgangschampagner.

„Die Russen sind reiselustig?“, schnaubten die Nachhaltigenden. Ja, das sei mindestens seit den interessanten Zeiten der Nowgoroder Republik und deren ersten Erkundungen Sibiriens bekannt. Seit 500 Jahren habe sich dieser Drang jenseits des Urals in der Auslöschung vieler dort heimischer Völker manifestiert. Bis nach Alaska seien die Russen auf die ihnen eigene mörderische Art gelangt.

„Aber seht ihr nicht die einmalige Chance in dieser Abwendung von der UNWTO?“, erwiderten die hoffnungslos naiven Optimisten, die sowohl Lastenräder besitzen als auch Fernflüge buchen: „Wenn Wladimir Putin und seine ex-sowjetischen Faschisten ihre eigene Ankündigung ernst nehmen, dann haben sie künftig in Mali und Libyen und Syrien und Georgien und Königsberg nichts mehr zu suchen.“ Nachsatz: „Vielleicht verlassen sie dann sogar freiwillig Teile der Ukraine oder lassen wenigstens den Rest von Osteuropa unbesucht . . .“

Skeptisch schwieg unsere schweigende Mehrheit. Auch ich habe einige Bedenken, ob Moskaus Machthaber nach ihrem Abgang aus der UNWTO deren hehren Prinzipien weiter zugänglich sind: verantwortlichem, universellem Tourismus, der internationale Verständigung, Frieden, Wohlstand und die Menschenrechte fördert. Vielleicht braucht Putin tatsächlich ein wenig Auszeit, um nach dem Rückzug aus der Fremde solch vernünftige Ziele wenigstens daheim im eigenen Reich zumindest ansatzweise anzustreben. Zu tun gäbe es genug.

Lesen Sie mehr zu diesen Themen:


Dieser Browser wird nicht mehr unterstützt
Bitte wechseln Sie zu einem unterstützten Browser wie Chrome, Firefox, Safari oder Edge.