UN-Konferenz vor 30 Jahren

"Ich habe Angst zu atmen"

FILES-BRAZIL-FIRE-AMAZON
FILES-BRAZIL-FIRE-AMAZON(c) APA/AFP/LULA SAMPAIO (LULA SAMPAIO)
  • Drucken

Warum der 14. Juni vor 30 Jahren ein ganz besonderer Tag gewesen ist – einer, der nicht nur unsere Gegenwart wesentlich beeinflusst, sondern dies auch in den kommenden Jahrzehnten tun wird.

Umwelt ist heute wieder in den zentralen Fokus von Politik und Alltagsgesprächen gedrungen. Nicht zum ersten Mal. Weichen dazu wurden vor genau 30 Jahren gestellt: auf der „UN-Konferenz für Umwelt und Entwicklung“ in Rio de Janeiro, die genau vor 30 Jahren zu Ende gegangen ist – am Sonntag, dem 14. Juni 1992. Was damals zu Ende gegangen ist, beschäftigt uns heute noch und wird uns auch in den kommenden Jahren und Jahrzehnten die Themen vorgeben.

Was in der Ökologie Sache ist, war schon damals nicht ganz neu – denn auch schon 1992 war der menschliche Einfluss auf die Erdatmosphäre gut und gern 100 Jahre bekannt. Dass Mikroplastik das Meer verschmutzt, konnte man auch schon zwei Jahrzehnte wissen, und dass Luftverschmutzung, bodennahes Ozon oder Ressourcenknappheit alles andere als gelöst sind, war auch vor 30 Jahren schon lange nicht mehr zu ignorieren. Klimaschutz und Artenschutz, Nachhaltigkeit und Müllvermeidung sind die Schlagworte der Umweltdebatte heute. Dass sie Eingang in die konkrete politische Diskussion gefunden haben, ist kein Zufall.

Sondern es ist Fortsetzung einer Systematik, die vor 30 Jahren startete – eben auf der Konferenz in Rio de Janeiro, die zum „Weltgipfel“ hochstilisiert worden ist. Mit dieser Zuschreibung sollte die Vorgängerkonferenz, die erste Unced 1972 in Stockholm, in den Schatten gestellt werden.

Entsprechend groß waren die Erwartungen – nicht zuletzt auch deshalb, weil erstmals ein globales Problem auftauchte, das in der Politik auch viel Hilflosigkeit ersichtlich werden ließ: das Ozonloch. Chemikalien in Spraydosen ließen das schützende Ozon in den mittleren und oberen Schichten der Atmosphäre rasant schwinden. Die Folge: Immer mehr ultraviolette Strahlung kommt durch zur Erdoberfläche, es kommt zu Ernteeinbußen, der Schädigung der Wälder und zu einer Steigerung der Krebsrate bei Menschen. Zum ersten Mal war die Schädigung – das Loch über der Arktis – auf einem Blick, auf einem Foto zu sehen.

Klima und Arten, Wüsten und Wälder

Seine Wirkung verfehlte dies nicht. Ersatzstoffe halfen, dass das Ozonloch erst einmal nicht größer, und dann allmählich kleiner wurde. Gelöst ist das Problem noch immer nicht endgültig, denn immer wieder werden Schattenseiten der Ersatzchemikalien entdeckt. An hohe, zweistellige Sonnenschutzfaktoren haben wir uns mittlerweile sowieso schon gewöhnt.

Diese kollektive Erfahrung seit Bekanntwerden des Ozonlochs hat der Konferenz in Rio einen Extra-Schub gegeben. Und deshalb war das Treffen regelrecht aufgeladen mit Erwartungen. Der Plan war, dass es eine Konvention für Klimaschutz, den Erhalt der Artenvielfalt, gegen die Ausbreitung der Wüsten und für den Schutz der Wälder geben sollte. Und noch eine, teilweise sehr ins Detail gehende „Agenda 21“ – gewissermaßen als Handlungsanleitung für nachhaltiges Agieren.

Die Vorgeschichte beim Klimaschutz hatte eine längere Vorgeschichte, zumal sie eng verwoben mit der Luftverschmutzung ist und dieses Thema ein steter Begleiter der umweltpolitischen Diskussion der 1980er Jahre gewesen ist. Die Rio-Konferenz sollte das Thema auf internationale Ebene heben und lösen.

Wir wissen heute: Daraus wurde nichts. Das Thema ist zwar auf der internationalen Bühne der Politik gelandet; inhaltlich gelöst ist es allerdings noch nicht, ganz und gar nicht. Der Weg durch die drei vergangenen Jahrzehnte der Klimapolitik ist gesäumt von Versprechungen und Zielen, die verfehlt oder gar nicht erst in Angriff genommen worden sind. Besonders kritische Zeitgenossen meinen sogar, es sei verfrüht, überhaupt von „Klimapolitik“ zu sprechen. Die Konvention ist eine Konvention der schönen Worte, die konkreten und verbindlichen Verpflichtungen wurden in die Klimakonferenzen ausgelagert.

Ähnlich bei der Konvention für den Erhalt der Biodiversität. Auch zu Zeiten der Rio-Konferenz waren Bedrohung und Schwund der Artenvielfalt dramatisch, auch damals prallten Naturschutz und knallharte wirtschaftliche Interessen aufeinander – im Regenwald am Amazonas ebenso wie auf den Weltmeeren oder in anderen Regionen der Erde. Bis heute nicht befriedigend gelöst ist auch die Frage, inwieweit hier Patentierbarkeit besteht.

In Abhängigkeit von der Industrie

Was auf den ersten Blick schnell abgrenzbar ist, ist es auf den zweiten Blick überhaupt nicht. Denn die Industrie bezieht sich bloß auf die allerletzte Etappe: Eine Pflanze wird mittels Gentechnik verändert – logischer Fall also für das Patentamt. Tatsächlich? Denn gerade bei Kulturpflanzen haben Generationen von Bauern dank ihrer Erfahrung zum Beispiel Getreide zu dem gemacht, was es ist. Diese bäuerliche Leistung bleibt unbelohnt. Mehr noch: Die Bauern werden in die Abhängigkeit von der Lebensmittelindustrie gedrängt.

Das war der Hintergrund, weshalb der damalige US-Präsident George Bush meinte, er finde die Konvention über Biodiversität ja gut und schön – bis auf jene Passagen, die „überhaupt nichts mit Artenvielfalt zu tun haben“. Es ging und geht ums Geschäft.

Das war auch der Grund, weshalb die Wald-Konvention überhaupt durchfiel. Hier standen auch schon zu Beginn der 1990er Jahre die Interessen einander unüberbrückbar gegenüber. Der Amazonas-Regenwald war Symbol für eine Entwicklung, die den gesamten Globus umfasst. Es ging nicht nur um den Regenwald in Brasilien, sondern auch um jene in Afrika und Asien, insbesondere Indonesien und Malaysia, aber auch um die borealen Wälder in Kanada, USA, Sibirien und Skandinavien.

Die Konvention gegen die Ausbreitung der Wüsten wurde zwar in Rio nicht abschließend verhandelt, aber in Rio konnten die größten Barrieren auf dem Weg zu einem kompromissfähigen Text beseitigt werden; unterschrieben wurde die Konvention dann zwei Jahre nach Rio, 1994.

„Für alle kommenden Generation"

Geld war natürlich ständig Thema; in Rio und danach. Versprechungen wurden gemacht, viele wurde nicht gehalten, verbindlich nur wenig festgezurrt. Stellvertretend für die vielen Schauplätze im Streit um Geld sei nur eine ins Visier genommen: die sogenannte „Entwicklungshilfe“. 1972, auf der ersten UNCED, verpflichteten sich alle Industriestaaten, 0,7 Prozent des Bruttoinlandsprodukt für diesen Zweck im Budget zu reservieren. 1992 wurde diese Ankündigung erneuert, dann wieder nach der Jahrtausendwende. Heute, 50 Jahre später, hält die Marke noch kein Industrieland ein.

Bleibt noch die „Agenda 21“, ein sehr ambitionierter Ansatz, der teilweise tief in Details einstieg. Es ging – und geht – um Nachhaltigkeit, wobei die unterschiedlichen Programme meist schon an einer Grunderfordernis scheitern: an der Mitsprache der Betroffenen und an der Herstellung einer Chancengleichheit zwischen Befürwortern und Gegnern von Projekten.

In den mehr als 800 Seiten konnten nicht nur Kommunalpolitiker Anregungen, Anleitungen und neue Zugänge erkennen, sondern auch alle interessierten Bürger. Was als Blueprint für die nachhaltig ausgerichtete Gestaltung der Welt gedacht war, sucht auch heute noch, und manchmal verzweifelt, den Weg an die Oberfläche.

Ein Pendant zu Greta Thunberg, bis zu deren Geburt es 1992 noch elf Jahre dauern sollte, hat es auch schon gegeben: eine kanadische Teenagerin, die in einer lokalen Umweltorganisation tätig war, Geld für die Reise nach Rio zusammenschnorrte und dort den Erwachsenen, und den von Sachzwängen Getriebenen ins Gewissen erdete: „Ich bin hier, um für alle kommenden Generationen zu sprechen. Ich kämpfe für meine Zukunft. Meine Zukunft zu verlieren ist etwas ganz anderes als eine Wahl zu verlieren oder ein paar Punkte an der Börse einzubüßen. Ich habe Angst zu atmen, weil ich nicht weiß, welche Chemikalien in der Luft sind.“

Lesen Sie mehr zu diesen Themen:


Dieser Browser wird nicht mehr unterstützt
Bitte wechseln Sie zu einem unterstützten Browser wie Chrome, Firefox, Safari oder Edge.