Mehr Gehalt, weniger Geld

Was ist eigentlich die Kalte Progression?

Die Presse/Clemens Fabry
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Trotz Gehaltserhöhung kann es vorkommen, dass sich Menschen weniger leisten können als zuvor. Verantwortlich dafür sind einerseits die Inflation, andererseits aber auch das "progressiv" gestaltete Steuersystem.

Mit der Kalten Progression geht es im Zuge des von der Regierung angekündigten Entlastungspakets einem auf den ersten Blick paradoxen Phänomen an den Kragen: Trotz Gehaltserhöhung kann es vorkommen, dass sich Menschen weniger leisten können als zuvor. Verantwortlich dafür sind einerseits die Inflation, andererseits aber auch das "progressiv" gestaltete Steuersystem - je mehr man verdient, desto höher klettert der zur Anwendung kommende Steuersatz.

Wie in vielen anderen Staaten auch ist der Tarif der Lohn- bzw. Einkommensteuer in Österreich "progressiv" angelegt. Das Einkommen wird (zumindest bei höheren Gehältern) in Teile zerlegt und mit nach sogenannten Tarifstufen steigenden Steuersätzen belastet. Bis zu einem jährlichen Gehalt von 11.000 Euro fallen etwa im Jahr 2022 keine Steuern an. Bei einem Gehalt zwischen 11.001 und 18.000 Euro sind erneut die ersten 11.000 Euro steuerfrei, der darüber hinausgehende Teil unterliegt einem Steuersatz von 20 Prozent. Bei einem Gehalt über 18.000 Euro bis zu 31.000 Euro gilt das Gleiche: Die ersten 11.000 Euro sind steuerfrei, der Teil zwischen 11.000 und 18.000 Euro wird mit 20 Prozent besteuert und der über 18.000 Euro hinausgehende mit 32,5 Prozent. Das setzt sich fort bis zu Gehaltsteilen über einer Million Euro, für die 55 Prozent an Steuern zu bezahlen sind.

Menschen an Tarifschwellen besonders betroffen

Die Kalte Progression schlägt nun vor allem bei jenen Menschen zu, die nahe an der Schwelle zu einer höheren Tarifstufe stehen. Wenn sie eine Gehaltserhöhung (etwa infolge der jährlichen Lohnrunden) bekommen, fallen sie in eine höhere Tarifstufe. Zumindest für einen Teil ihres Zusatzgehaltes bezahlen sie damit einen höheren Steuersatz. Folge: Von der Bruttoerhöhung des Gehalts bleibt netto weniger über. Je mehr Arbeitnehmer durch Lohnerhöhungen also in höhere Tarifstufen vorrücken, desto mehr schöpft der Staat von den Lohnerhöhungen ab. Diesen Effekt nennt man Kalte Progression - "kalt", weil dafür keine aktive Handlung oder Steuererhöhung nötig ist.

Hohe Inflation verstärkt Effekt

Kommt zur eigentlichen Kalten Progression noch eine hohe Inflation, verstärkt sich der Effekt für die betroffenen Bürgerinnen und Bürger. Wenn etwa die Waren im Supermarkt wesentlich teurer werden, steigt nicht nur das Nettogehalt weniger stark als das Bruttogehalt - es kann sogar zu realen Lohnverlusten kommen.

Will man die Kalte Progression abschaffen, müssten also die Tarifstufen bzw. in weiterer Folge auch die Absetzbeträge jährlich an die Inflation angepasst werden. Das passiert etwa in der Schweiz, Frankreich oder den USA. Es gibt aber auch Kritik an einer solchen Maßnahme: Sie ist für den Finanzminister in der Summe teuer, bringt den einzelnen Bürgern aber unter Umständen nicht allzu viel.

(APA)

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