Quergeschrieben

Wenn sich die ÖVP Bruno Kreisky zum Vorbild macht

Dass die jüngsten Milliarden-Pakete der Bundesregierung auf allgemeine Zustimmung stoßen, zeigt vor allem, wie anspruchslos wir geworden sind.

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Die Schweizer haben es jetzt gerade echt schlecht. Dort gibt es keinen Klimabonus und keine Einmalzahlung der Familienbeihilfe, keinen Teuerungszuschuss für Mittellose, keine Energieunterstützung und keine riesigen Anti-Inflationspakete, ja nicht einmal Schnitzelgutscheine oder 500 Franken für alle. Das einzige, was sie in der Schweiz haben, ist eine sehr moderate Inflation von unter 3 % und genauso moderate Steuern, die natürlich jedes Jahr an diese Inflation angepasst werden. Deshalb muss der Staat dort auch nicht mit gewaltigem Getöse dem Bürger Schäden wiedergutmachen, die er vorher weitgehend verursacht hat.
Ungefähr so haben wir uns ein gut regiertes Land vorzustellen; und gemessen daran ist die Performance unserer Regierung auch trotz der aktuellen Begeisterung über das jüngste Geld-für-alle-Paket recht überschaubar. Aber wir sind offenbar recht bescheiden geworden in dieser Hinsicht.


Was aber nichts an zwei grundlegenden Problemzonen dieser Regierung ändert. Erstens: Vieles, viel zu vieles ist einfach handwerklich nicht gut gemacht. Das reicht von den vermurksten Corona-Verordnungen bis hin zum Faktum, dass zukünftige Generationen jene Schulden aufgehalst werden, die heute zur Finanzierung diverser Pakete notwendig sind; von wenig ambitionierten Personalentscheidungen bis zu einer Energiepolitik, die dilettantisch zu nennen eine höfliche Untertreibung wäre.

Zweitens: Diese Regierung vermittelt nicht den Eindruck zu wissen, was sie will, außer die Zeit bis zum nächsten Wahltag irgendwie unfallfrei zu überstehen. Daran ändert auch tonnenweise Helikoptergeld nichts. Das letzte verbliebene Asset der Kanzlerpartei ÖVP scheint zu sein, nicht die SPÖ zu sein. Okay, das ist nicht nichts, aber eventuell halt nicht genug. Eine interessante Erklärung dafür hat jüngst Hans Rauscher im „Standard“ formuliert: einen „Feigheits-Populismus“, also eine „Angst schwacher Regierender vor den entfesselten Kräften populistischer Bewegungen (...). Mit Türkis-Blau 2017 und Sebastian Kurz hatte der Rechtspopulismus endgültig Regierungsstatus.“ Die Folge: „Die Regierenden wagen nicht mehr zu regieren.“ Auch den historischen Stammvater dieses Populismus benennt Kollege Rauscher – Jörg Haider, wer sonst? Im Kern ist das zutreffend; dass der „Populismus“ schuld am Politikversagen ist, wird ja fast in der ganzen westlichen Welt beklagt.
Und doch erscheint mir diese Diagnose nicht ausreichend zu greifen. Denn längst ist nicht mehr der Rechtspopulismus à la Haider das (Haupt-)Problem, sondern jener „Populismus der Mitte“ (Eric Gujer), dessen historische Mutter in neuerer Zeit Angela Merkel ist und der dadurch charakterisiert ist, sich geschmeidig den Stimmungen des Elektorates anzupassen, dessen Wünsche und Befindlichkeiten aufzunehmen, oft bevor sich dieses Elektorat dessen bewusst ist, und Politik gefühlsgetrieben statt zielorientiert zu betreiben. Fundament dieser Politik ist nicht das Parteiprogramm, sondern die Sonntagsfrage. „Hier zieht mein Volk, ich muss ihm nach, ich bin sein Führer“, hat Charles-Maurice de Talleyrand-Périgord (1754–1838) dies einst spöttisch beschrieben.

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