Leitartikel

Wer mit dem Recht der EU zündelt, wird zum Brandstifter der Union

Die rechtswidrige Indexierung von Familienleistungen durch ÖVP und FPÖ ist ein Beispiel für den frivolen Umgang vieler Politiker mit dem Unionsrecht.

Dreieinhalb Jahre hat es gedauert, nun hat der Spuk sein Ende, das von Anfang an absehbar war: Die Anpassung der Familienbeihilfe und mehrerer anderer finanzieller Zulagen und Absetzbeträge für Kinder an das Preisniveau, das an ihrem Lebensort im europäischen Ausland besteht, ist rechtswidrig. Wobei „Anpassung“ den Blick auf die Wahrheit verschleiert. Denn fast alle der je nach Jahr 125.000 bis 137.000 davon betroffenen Kinder, deren Eltern 2019 bis 2021 in Österreich Steuern und Sozialabgaben bezahlt haben, leben in ärmeren osteuropäischen EU-Staaten mit niedrigeren Preisniveaus. Ihre Mütter und Väter sind Wanderarbeiter, die dank der Personenfreizügigkeit in der Republik Arbeiten erledigen, für die sich keine Österreicher finden: die Altenpflege vor allem. Der damaligen ÖVP-FPÖ-Regierung unter Bundeskanzler Sebastian Kurz ging es mit der per 1. Jänner 2019 eingeführten Indexierung einzig darum, diesen Unionsbürgern die Sozialleistungen für ihre Kinder zusammenzuschneiden. „Europarechtskonform“ wollte man das tun, ist im Regierungsprogramm für die Jahre 2017 bis 2022 zu lesen. Daraus wurde nichts: weder aus der europarechtskonformen Diskriminierung von Unionsbürgern noch aus dem fünfjährigen Durchregieren.

Das Urteil des Gerichtshofs der EU vom Donnerstag kann niemanden überraschen, der sich nüchtern mit der Sachlage befasst hat. Überraschend und verstörend ist hingegen, mit welcher Starrköpfigkeit die damaligen Minister dieses Ansinnen vorangetrieben haben. Übrigens war es nicht die FPÖ allein, die unter dem Motto „Unser Geld für unsere Leut'“ auf diese Kürzung der Familienbeihilfe für im europäischen Ausland lebende Kinder pochte. Kurz selbst kampagnisierte schon im Jahr 2015 für die Indexierung. Der Anlass für sein Interesse daran waren die Verhandlungen der Union mit dem Vereinigten Königreich über Zugeständnisse, um den Brexit abzuwenden. Beim EU-Gipfel am 18. und 19. Februar 2016 versprachen die 27 Staats- und Regierungschefs ihrem britischen Kollegen David Cameron so eine Indexierung. Den Brexit hat das nicht abgewendet. Dafür findet sich im Urteil vom Donnerstag eine kleine Notiz von alternativhistorischer Sprengkraft: Diese Indexierung wäre „jedenfalls ungültig gewesen.“

Lesen Sie mehr zu diesen Themen:


Dieser Browser wird nicht mehr unterstützt
Bitte wechseln Sie zu einem unterstützten Browser wie Chrome, Firefox, Safari oder Edge.