ÖVP-Bildungspapier: Selbstkritik und gespaltene Opposition

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oeVPBildungspapier Selbstkritik gespaltene Opposition(c) Michaela Bruckberger
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Der Vorstoß gegen das Sitzenbleiben findet Anklang, jener gegen die Gesamtschule ist umstritten. In der ÖVP heißt es jetzt, das vorliegende Bildungspapier könnte in Details noch abgeändert werden.

Wien. Die ÖVP wollte einen Trend setzen. Monatelang arbeitete sie an einem Bildungsprogramm, mit dem sie die Themenführerschaft in der Bildungsdebatte dieses Landes übernehmen wollte. Jetzt liegt das Papier vor (Überblick: siehe Kasten). Doch die Rezeption des Programms mit dem Titel „Der neue Bildungsweg“ ist nach Bekanntwerden von Details in der „Presse“ verhalten: Sowohl die Opposition als auch mehrere ÖVP-Kräfte äußern sich kritisch.

Die Hauptkritik der Gegner, allen voran der Kanzlerpartei SPÖ: Eine gemeinsame Schule (Gesamtschule) aller Zehn- bis Vierzehnjährigen wird damit nicht angestrebt, auch keine Vorstufen dazu. Für SPÖ-Bildungssprecher Elmar Mayer wäre „diese Herausforderung überfällig“, wie er der „Presse“ sagt. „Werden die Schüler auch in Zukunft mit zehn Jahren separiert, schöpfen wir ihre Potenziale weiterhin nicht aus.“ Mayer hofft nun, dass sich in der ÖVP-internen Debatte um das Bildungsprogramm doch noch jene Kräfte durchsetzen, die seit Längerem auf eine gemeinsame Schule drängen, allen voran Wissenschaftsministerin Beatrix Karl, die die Arbeiten am Programm geleitet hat, aber auch Wirtschaftskammer, Management Club oder Industriellenvereinigung. „Ich zähle darauf, dass man das jetzige Papier noch hinterfragt“, so Mayer.

Auch im Kabinett von SPÖ-Unterrichtsministerin Claudia Schmied hofft man darauf, dass die ÖVP auf eine neue Schulform umschwenkt: „Eine gemeinsame Schule der Zehn- bis Vierzehnjährigen ist und bleibt das Ziel der Ministerin“, hieß es am Donnerstag.

Grüne: „Schwarze Steinzeit“

Für den Bildungssprecher der Grünen, Harald Walser, ist das ÖVP-Papier schlicht ein Zeichen für die „schwarze Steinzeit“, in der man sich mit der Schuldebatte befinde. „Retro in die Sechziger“, so lautet sein Urteil nach Bekanntwerden der Details. Das Selektieren von Schülern wäre mit 14 „wesentlich fairer“ als mit zehn Jahren, ist Walser überzeugt. Positiv sieht der Grüne hingegen, dass die ÖVP ein Modulsystem anstrebt. Durchfallen soll bald der Geschichte angehören: Wer in einem Fach scheitert, soll nur dieses nachholen und nicht mehr ein ganzes Schuljahr.

BZÖ gegen, FPÖ für Trennung

Das ÖVP-Bildungspapier sei „ein Rückschritt, da kommt wieder die Maria-Theresianische Militärmentalität der schwarzen Blockierer durch“, meint BZÖ-Bildungssprecherin Ursula Haubner. Sie drängt auf eine gemeinsame Schule bis 15. Positiv sieht sie die stärkere Sprachförderung, die die ÖVP vor allem in den Kindergärten und Volksschulen für Kinder mit Deutschdefiziten durchsetzen will.

Von der Opposition lobt nur die FPÖ die Trennung in Hauptschule und AHS-Unterstufe, an der die Mehrheit der ÖVP-Bildungspolitiker offenbar festhalten will. Bildungssprecher Walter Rosenkranz meint, dass mit dem Programm weitere Gesamtschul-Projekte „endgültig gestorben“ seien. Das begrüße die FPÖ, denn wer auf die Gesamtschule poche, habe „von Pädagogik keine Ahnung“.

In der ÖVP heißt es jetzt, das vorliegende Bildungspapier könnte in Details noch abgeändert werden („Die Presse“ berichtete). Die Hauptverantwortliche, Ministerin Karl, will sich jedenfalls noch nicht von ihrem Ziel aus dem Frühjahr verabschieden. Damals hatte sie sich für ein „Gymnasium für alle“ bis 14, also für eine Form der gemeinsamen Schule bei innerer Differenzierung, ausgesprochen.

Auch in der Industriellenvereinigung werden wieder Stimmen laut, dass es hier eine Weiterentwicklung brauche: „Für das Bildungsprogramm einer Partei, die die Zukunft wirklich gestalten will, hat es beachtliches Verbesserungspotenzial“, sagt IV-Bildungsexperte Gerhard Riemer über das ÖVP-Papier. Und konkret zum Thema „gemeinsame Schule“: „Es fehlt eine Vision, wie man eine Schule der Zehn- bis Vierzehnjährigen mit Leistungsdifferenzierung anstreben kann. Ein Zukunftsprogramm kann sich um diese Frage aber nicht herumschwindeln.“

Karl: „Gymnasium für alle“ offen

Die Gespaltenheit der Partei und parteinaher Organisationen in der Bildungspolitik wird mit der Debatte um das Bildungspapier immer offensichtlicher. Ministerin Karl drängt offiziell trotzdem darauf, bei weiteren Diskussionen „alle Positionen zusammenzuführen und einen Konsens zu finden“. „In den nächsten Wochen“ wolle man so weit sein.

Auf einen Blick

In ihrem Bildungsprogramm setzt die ÖVP vor allem auf Sprachkurse und auf Module statt Durchfallen.

•Deutsch: Kinder, die mit fünf noch nicht gut Deutsch können, sollen verpflichtend Nachmittagskurse im Kindergarten besuchen. Wer mit sechs noch grobe Mängel hat, soll in die Vorschule statt in die Volksschule gehen müssen.

•„Mittlere Reife“: Die Hauptschulen sollen zu „Mittleren Schulen“ mit besserer Förderung aufgewertet werden. Nach vier Jahren können Schüler die „Mittlere Reife“ erwerben; mit dieser können sie in AHS-Oberstufen wechseln.

•Module: Etwa ab der fünften Schulstufe soll es ein Modulsystem geben. Wer in einem Fach nicht besteht, soll nur ein Modul, nicht ein Schuljahr nachholen.

("Die Presse", Print-Ausgabe, 03.12.2010)

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