Mehrere Regierungschefs halten den Kandidatenstatus für verfrüht, Österreich stellt Bedingungen.
Wien/Brüssel. Europas führende Diplomaten müssen sich auf eine verhandlungsintensive Woche einstellen: Nachdem die EU-Kommission am gestrigen Freitag erwartungsgemäß den Kandidatenstatus für die Ukraine empfohlen und damit den ersten Schritt Richtung EU-Mitgliedschaft geebnet hat (siehe rechts), läuft der Countdown zum letzten Gipfel vor der Sommerpause, bei dem die Staats- und Regierungschefs diese Empfehlung absegnen sollen. Am kommenden Donnerstagabend trifft die Runde der 27 in Brüssel zusammen. Bis dahin ist noch Überzeugungsarbeit vonnöten. Denn das Votum muss einstimmig fallen – und mehrere Regierungen haben nach wie vor große Vorbehalte gegen den Plan, dem mehr als 40 Millionen Einwohner zählenden Land, in dem sich das ohnehin beträchtliche Korruptionsproblem seit Beginn der russischen Invasion weiter verschärft hat, den EU-Beitritt unmittelbar in Aussicht zu stellen.
Die öffentlichkeitswirksame Reise von Frankreichs Präsident, Emmanuel Macron, der noch bis Ende Juni die Ratspräsidentschaft innehat, Deutschlands Kanzler, Olaf Scholz, und Italiens Regierungschef, Mario Draghi, am Donnerstag nach Kiew änderte an dieser Skepsis nur bedingt etwas. Die drei Repräsentanten der größten EU-Volkswirtschaften werben für den Kandidatenstatus, machen aber deutlich, dass sich der Beitrittsprozess über Jahre oder gar Jahrzehnte hinziehen könnte – eine Sonderbehandlung dürfe es trotz der prekären Lage, in der sich die Ukraine befindet, nicht geben. Schon gar nicht werde eine Aufnahmeentscheidung vorweggenommen, argumentieren Berlin und Paris. Die Türkei etwa wird seit 23 Jahren als EU-Beitrittskandidat geführt, ein Beitritt aber gilt aus heutiger Sicht – die Verhandlungen liegen seit Jahren auf Eis – ausgeschlossen.