Die Philharmoniker konfrontierten unter Andris Nelsons Dvořák mit Hintergründigem aus Sowjetzeiten.
Im zweiten Teil des jüngsten, überlangen philharmonischen Konzerts war sogar für Traditionalisten wieder alles in Ordnung: Antonín Dvořáks Sechste ist den Musikern zwar nicht vertraut, die Stilvorgaben dieser Musik stellen für sie aber so etwas wie das kleine Klang- und Phrasierungseinmaleins dar. Ist doch Dvořák nirgendwo näher an der Musik seines Mentors Brahms. Die Assoziationen zu dessen in derselben Tonart stehender Zweiten gehen bis an die Grenze des Plagiats. So ward philharmonischer Schönklang, denn Dirigent Andris Nelsons weiß, dass er in einem solchen Fall am besten fährt, wenn er ohne viel Federlesens auf den Instinkt dieses Orchesters baut.
Anders zuvor bei Musik von Schostakowitsch und dessen Freund Mieczysław Weinberg. Da führt Nelsons die Musiker auf die rechte Spur: Im Falle von Schostakowitschs Neunter hatte man anno 1945 erwartet, er werde den Sieg der Roten Armee mit ebenso theatralischem Konzert-Bombast zelebrieren wie er zuvor – mit internationaler Breitenwirkung – eine symphonische Durchhalteparole für das belagerte Leningrad geschaffen hatte.