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Mehr vom Selben bringt nichts Neues

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Neues Wissen entsteht dann, wenn Gegensätze aufeinandertreffen, sagt
Alexander Kaiser, Leiter des Bereichs Knowledge Management an der WU Wien.

Alexander Kaiser

Herr Professor Kaiser, was ist Wissen eigentlich?

Alexander Kaiser: Es gibt viele Definitionen. Ich verwende eine, die schon aus den 1960er-Jahren stammt, aber immer noch gültig ist. Demnach wird Wissen als „capacity to act“, also als Handlungsfähigkeit definiert. Erst durch Wissen ist ein Mensch oder eine Organisation in der Lage, zu handeln. Das ist für mich faszinierend und stimmig. Es geht nicht um besseres Wissen, sondern um passenderes Wissen, mit dem wir bessere Entscheidungen treffen können. Dieses Dreieck zwischen Lernen, Wissen und Entscheiden definiert das Wissensmanagement. Durch Entscheidungen und Erfahrungen wird wieder neues Wissen generiert, das ist der Kreislauf. 

Wie kann man Wissen von Daten abgrenzen?

Das wird sehr oft vermischt, obwohl es einen großen Unterschied zwischen Daten, Informationen und Wissen gibt. Wenn wir über Wissensmanagement sprechen, dann sollte man sich bewusst sein, dass Datenverarbeitung, Big-Data-Analyse und Informationsverarbeitung total wichtig sind. Das Wissensmanagement baut auf Daten und Informationen auf. Nicht aus jedem Datensatz entsteht automatisch auch Wissen – es hat einen starken kontextuellen und subjektiven Bezug. 

Wie entsteht Wissen?

Einerseits entsteht Wissen durch Lernen. Ein tiefergehender Ansatz wäre es, zu sagen: Neues Wissen entsteht, wenn man Gegensätze bewusst aneinanderfügt. Desto besser konträre Positionen miteinander ins Gespräch kommen und dabei begleitet und moderiert werden, umso wertvoller ist das neue Wissen, das dabei entsteht. Erst wenn sich aus der These und der Antithese eine Synthese ergibt, entsteht etwas Neues. Mehr vom Selben bringt nichts Neues. Das sollte in der Unternehmenskultur und der Zusammensetzung von Teams verankert sein, nämlich schon konträre Persönlichkeiten miteinander agieren zu lassen. Wir lernen natürlich aus der Vergangenheit. Aber beim Wissensmanagement geht es auch darum, aus der Zukunft zu lernen. Indem ich mich in die Zukunft hineinversetze und über diese imaginativen Szenarien Erkenntnisse für die Gegenwart erhalte. Das hat nichts mit Esoterik zu tun, das basiert auf neurowissenschaftlicher Forschung. Peter Drucker [der Managementexperte, Anm.] hatte schon vor 60 Jahren sinngemäß gesagt: Wir können die Zukunft nicht vorhersehen, aber wir können sie gestalten. Das ist eine ganz neue und wichtige Facette des Wissensmanagements.

Welche Rolle spielt Technologie beim Wissensmanagement?

Technologie hat aus meiner Sicht eine unterstützende, aber keine ursächliche Rolle. Wissen entsteht nicht durch Technologie, sondern durch den Menschen und die Organisation. Es besteht immer aus implizitem und explizitem Wissen. Die Technologie ist gut für den expliziten Teil. Aber das Problem ist: Wir können nicht davon ausgehen, dass man nur mit dem Expliziten arbeitet. Um das implizite Wissen nutzbar zu machen, braucht es den Menschen. Dazu braucht es Kultur und da ist die Technologie allein nicht sinnvoll anwendbar. Algorithmen sind zwar großartig, dienen letztendlich aber vorrangig der Verarbeitung von Daten. Und das ist wieder das Explizite. Man kann sich eine wichtige Funktion von Wissensmanagement wie eine Pumpe vorstellen, die das Implizite sukzessive an die Oberfläche befördert. 

Ist das eine gute Nachricht für die Menschen, dass wir neben der Technologie weiter Bedeutung haben werden?

Manche haben ja Angst, dass die künstliche Intelligenz den Menschen ersetzt. Sie ist ein guter Verbündeter, aber der Mensch bleibt immer noch am Schalthebel. Weil dieser große Teil des impliziten Wissens enorm wichtig ist. Wir können viel aus dem asiatischen Raum lernen. Da geht es stark darum, die drei Bereiche Kopf, Bauch und Herz zu verbinden. Der Kopf hält das Explizite und die Ratio. Der Bauch ist das, was man landläufig unter Intuition versteht. Wenn ich mit Managern rede, wird mir oft gesagt: Die wichtigsten Entscheidungen des Lebens haben sie nicht auf Basis der expliziten Dinge getroffen, sondern wegen eines Bauchgefühls. Das ist eine neue und wichtige Ressource im Wissensmanagement, Menschen und Organisationen zu unterstützen, das Wissen von beiden Quellen – Kopf und Bauch – zu nutzen. Das ist nicht so leicht und braucht gute Methoden. Wir haben dazu passende Werkzeuge entwickelt. Alexander Kaiser leitet die Abteilung für Wissensmanagement an der Wirtschaftsuniversität Wien und ist stellvertretender Leiter des Instituts für Data, Process and Knowledge Management. Er hat Betriebsinformatik an der Universität Wien studiert, ist zertifizierter systemischer Coach und der CEO von WaVe – Zentrum für Wachstum und Veränderung.

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