"Roaming"

Wiener Forscher beobachteten fliegenden Atom-Positionswechsel

Der fliegende Atom-Positionswechsel, das sogenannte "Roaming“, eines Wasserstoffatoms überraschte Wissenschaftler. Erstmals wurde dieser Effekt 2004 entdeckt.

Ein Wasserstoffatom, das sich bei UV-Licht-Einstrahlung vorübergehend aus dem Molekülverband verabschiedet, kurzzeitig wie ein Satellit um das Molekül herumschwirrt, und sich dann an anderer Stelle wieder anlagert, haben Wiener Forscher indirekt beobachtet. Der fliegende Atom-Positionswechsel hat die Wissenschafter überrascht, handelt es sich bei dem bei der Aminosäure Tyrosin festgestellten Phänomen doch um die erste derartige Beobachtung bei einem Biomolekül.

Das sogenannte "Roaming" von Atomen wurde erstmals im Jahr 2004 bei dem im Vergleich zu der Aminosäure aus deutlich weniger Atomen zusammengesetzten Formaldehyd unter Einfluss von UV-Licht entdeckt. Erst vor kurzem konnte dieses, den herrschenden Vorstellungen über den Wechsel von Bindungen in Molekülen eher zuwiderlaufenden Schauspiels bei diesem Molekül auch in Echtzeit dokumentiert werden, erklärte Philipp Marquetand vom Institut für Theoretische Chemie der Universität Wien.

Als einer der 21 Grundbausteine der Proteine und Enzyme in unserem Körper ist Tyrosin eine von nur drei Aminosäuren, die Sonnenlicht absorbieren können. Da es in seiner Feinstruktur ein quantenmechanisch schwer zu berechnendes und im Experiment schlecht beobachtbares Gebilde darstellt, sei nicht im Detail klar, was passiert, wenn es UV-Licht ausgesetzt wird. Allerdings ist bekannt, dass die Zersetzung dieser Aminosäure bei der Hautalterung oder bei der Entwicklung von Grauem Star eine Rolle spielt.

Verhalten von Tyrosin unter Lichteinfluss

Im Fachmagazin "Nature Chemistry" berichtet das Team um Erstautorin Julia Westermayr nun über einen neuen, indirekten Beobachtungsansatz, bei dem das Team ein neuronales Netz mit Daten aus Simulationen zum Verhalten von Tyrosin unter Lichteinfluss füttert. So kann man die schon bei einer kleinen Verbindung unglaublich aufwendigen quantenphysikalischen Berechnungen quasi umgehen, und das Verhalten auch über die Zeit hinweg analysieren.

Diese Herangehensweise aus dem Bereich des maschinellen Lernens erbrachte eine Überraschung. Nämlich, dass sich unter UV-Einfluss ein Wasserstoffatom von einem Teil des Moleküls komplett ablöst. Es fliegt dann aber nicht einfach davon und sucht sich andere Bindungspartner, sondern "schwirrt eher so wie eine Fliege um ein Pferd oder der Mond um die Erde herum" und bindet an anderer Stelle wieder am Tyrosin an, sagte Marquetand: "Das ist letztendlich ein relativ neuer Reaktionsmechanismus."

Roaming „per Zufall“ entdeckt

Dieses Roaming habe man in dem so entstandenen Ablaufdiagramm tatsächlich "per Zufall gefunden". Um zu überprüfen, ob dieses Ergebnis auch zutreffen kann, habe man einzelne Teilstücke des Ablaufes auch quantenmechanisch nachgerechnet. Diese Ergebnisse passten gut in das "gegen die Intuition sprechende" Bild.

Letztlich handelt es sich hier um einen Mechanismus, um Energie in einer Verbindung von einer zur anderen Stelle zu transportieren. In der Simulation hat das beim Tyrosin den Effekt, dass es bricht. Würde das Roaming nicht stattfinden, hätte die Verbindung eine bessere Chance, unter Lichteinfluss stabil zu bleiben, vermuten die Wiener Wissenschafter, die in Zukunft mit ihrem neuen Ansatz auch größere Proteine ansehen wollen. Hier sei die Frage, ob diese Art der Destabilisierung auch in größeren Gebilden eine Rolle spielen kann.

(APA)

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