Frankreichs neue Politikwelt: Wenn Macron Koalitionsgespräche führt

Auch mit Marine Le Pens Rassemblement National führte Macron Gespräche.
Auch mit Marine Le Pens Rassemblement National führte Macron Gespräche.APA/AFP/POOL/LUDOVIC MARIN
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Der französische Staatschef holt sich die erwartet Abfuhr bei den konservativen Republikanern. Die erst vor wenigen Wochen bestellte Premierministerin Borne bot ihren Rücktritt an, doch Macron lehnt ab.

Frankreichs Präsident Emmanuel Macron hat nach seiner Schlappe bei der Parlamentswahl mit dem Verlust der absoluten Mehrheit mit der Suche nach Regierungsoptionen begonnen. Im Pariser Élyséepalast empfing der Staatschef am Dienstag nacheinander die Führer der im Parlament vertretenen Parteien, um Möglichkeiten für eine konstruktive Zusammenarbeit oder Koalition auszuloten. Bis zum Mittwoch sollten diese Gespräche abgeschlossen sein, hieß es aus dem Élyséepalast.

Aus den ersten Reaktionen der beteiligten Parteiführer zeichnete sich zunächst noch keine Lösung ab. Eine Abfuhr holte sich Macron bei den konservativen Republikaner. Seine Partei werde "weder einen Pakt noch eine Koalition" eingehen, sagte Parteichef Christian Jacob nach einem Gespräch mit Macron am Dienstag in Paris.

"Ich bin doch kein Deutscher, wir haben eine anderes politisches System", hatte der Konservative Jacob schon vor dem Gespräch mit Macron dem Sender France Inter gesagt. In Frankreich sind Koalitionen bisher unüblich. Da Macrons in der politischen Mitte angesiedeltes Wahlbündnis Ensemble die absolute Mehrheit verloren hat, würde sich - jedenfalls rein rechnerisch - eine Koalition mit den Republikanern anbieten. Die Parteiführung der Konservativen von Ex-Präsident Nicolas Sarkozy hatte aber schnell klar gemacht, dass sie in der Opposition bleiben wolle. "Wir sind nicht das Reserverad", betonte Jacob.

Eine einfache Mehrheit, eine Seltenheit

Unterdessen wies Macron am Dienstagmorgen ein Rücktrittsgesuch von Premierministerin Élisabeth Borne ab. Er wolle, dass sie im Amt und die Regierung damit handlungsfähig bleibe, teilte der Élyséepalast mit. Das Rücktrittsgesuch der amtierenden Regierung ist nach der Parlamentswahl in Frankreich üblich und eher ein formeller Akt. Nun aber ist die Lage eine besondere. Bei der Wahl am Sonntag nämlich hatte das Mitte-Lager des Präsidenten keine absolute, sondern nur noch eine einfache Mehrheit erhalten, eine in Frankreich seit über 30 Jahren nicht mehr da gewesene Situation.

Die eigentlich am Dienstag geplante Kabinettssitzung wurde abgesagt. Regierungschefin Borne berief stattdessen die Ministerinnen und Minister am Nachmittag zu einem Treffen in die Regierung ein. Zwei Ministerinnen und eine Staatssekretärin der amtierenden Regierung müssen ohnehin ihren Posten räumen, da sie bei der Wahl am Sonntag ihren Wahlkreis nicht gewannen. Diese Regel hatte Macron vor der Wahl aufgestellt. Gerechnet wird möglicherweise schon in den nächsten Tagen mit einer Regierungsumbildung. Einfluss darauf dürfte haben, von welcher Partei oder Gruppe im Parlament Macron Unterstützung gewinnt. Ob Borne auf lange Sicht Regierungschefin bleibt, ist offen.

Nach dem vorläufigen amtlichen Endergebnis kam das Macron-Lager am Sonntag auf 245 der 577 Sitze und verfehlte damit die absolute Mehrheit. Das neue linke Bündnis, angeführt von Linkspolitiker Jean-Luc Mélenchon, erzielte 131 Sitze. Die rechtsnationale Partei Rassemblement National von Marine Le Pen legte massiv zu auf 89 Sitze. Die traditionelle Volkspartei der Republikaner kam samt Verbündeten auf 74 Sitze, ein herber Verlust.

Rückschlag für Mélenchon

Weiter auf Granit biss Linkspolitiker Mélenchon am Dienstag mit seinem schon am Vortag gestarteten Vorstoß, mit dem Linksbündnis als eine gemeinsame Fraktion ins Parlament einzuziehen. Dagegen stellen sich weiterhin die Sozialisten, Kommunisten und Grünen, die auf der getroffenen Regelung beharren, dass jede Partei für sich im Parlament agiert. Der Einfluss des Europaskeptikers Mélenchon wird dadurch geschmälert. Seine Linkspartei alleine nämlich ist im Parlament nur drittstärkste Kraft hinter dem rechtsnationalen Rassemblement National und Macrons Mitte-Lager. Das Linksbündnis mit allen Partnern zusammengerechnet wäre indes stärkste Oppositionsgruppe.

(APA/dpa/AFP)

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