Gastbeitrag

Die russische Sprache wird erneut zur Waffe im Krieg

(c) Peter Kufner
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Auch Literatur und Kultur werden im Zuge des aktuellen russischen Angriffskrieges gegen die Ukraine zum Schlachtfeld.

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Dr. Matthäus Wehowski hat in Tübingen Geschichte und Slawistik studiert und dort in Neuerer und Neuester Geschichte promoviert. Derzeit arbeitet er als Wissenschaftlicher Mitarbeiter am Hannah-Arendt-Institut für Totalitarismusforschung zur Geschichte der Nationalbewegungen und der politischen Transformation in Ost- und Ostmitteleuropa.

Es herrsche ein „totaler Krieg“ gegen die „russische Welt“ (Russki Mir), so der russische Außenminister Sergei Lawrow, und auch der ehemalige Präsident Dmitri Medwedew sprach von einem „Hass“ auf die russische Kultur. Ein – ziemlich bizarres – Video der russischen Vertretung bei der Unesco zeigt Schriftsteller wie Puschkin und Tolstoi, die der vermeintlichen westlichen (aber auch ukrainischen) „Unkultur“ gegenüberstehen. Angesichts des realen Krieges, den Russland gegen die Ukraine und ihre Bürger führt, irritierende Thesen.

Was steckt dahinter? Die Kultur ist zu einem weiteren Schlachtfeld geworden. In den besetzten Regionen der Ostukraine werden die Lehrpläne den russischen angepasst, ukrainische Literatur aus den Bibliotheken entfernt oder zerstört, und auf großen Werbebannern verkündet das Antlitz Puschkins die große „russische Vergangenheit“. Dass Russland die großen Schriftsteller und seine Sprache für imperiale Zwecke missbraucht, ist kein neues Phänomen. Schon das Zarenreich und die Sowjetunion nutzten sie als Werkzeuge einer kulturellen Hegemonialpolitik in den Gebieten, die sie als „Einflusssphäre“ betrachteten.

Die Freiheit wurde populär

Die Themen Freiheit und Nation in der Literatur und Sprache, die zueinander in einer schwierigen Wechselbeziehung standen (und bis heute stehen), gewannen ab Ende des 18. Jahrhunderts Popularität, als sich die literarische Bewegung der Romantik in ganz Europa ausbreitete und auch ihren Weg ins russische Zarenreich fand. Sie brachte die Dichtung Alexander Puschkins (1799–1837), Taras Schewtschenkos (1814–1861) oder Adam Mickiewiczs (1789–1855) hervor, die für ihre jeweiligen Nationen, Russland, Ukraine und Polen, zu „Nationaldichtern“ aufstiegen. Währenddessen wuchs das Zarenreich zum Imperium, das sich nun weit nach Westen (bis Warschau) und Süden (Schwarzes Meer) ausdehnte. Politisch festigte sich die Autokratie gegenüber alternativen Herrschaftsformen, als etwa Katharina die Große im Jahr 1764 das Kosaken-Hetmanat in der Ukraine auflösen ließ und 1795 auch die polnisch-litauische Adelsrepublik zerschlug.

Die Freiheitsideen, die zusammen mit der Romantik kamen, stellten den Aufstieg der Autokratie jedoch infrage. 1825 rebellierten als „Dekabristen“ bekannt gewordene Offiziere gegen die Allmacht des Zaren. Obwohl sie kläglich scheiterten, reagierte Zar Nikolaus I. (1796–1855) mit brutalen Repressionen. Puschkin, der mit einigen Dekabristen befreundet war und ihre Ideen teilte, fürchtete Gefängnis oder Verbannung. Der Zar stellte ihn unter Beobachtung, hoffte aber, den populären Dichter für seine Zwecke nutzen zu können. Die Gelegenheit dazu kam, als sich 1830 die polnische Nationalbewegung erhob und in einem Aufstand die nationale Selbstbestimmung forderte. Puschkin stellte sich gegen die Aufständischen und verfasste das Gedicht „An die Verleumder Russlands“ (1831), das sich gegen Frankreich und dessen vermeintlichen Einfluss auf die Polen richtete. Bildungsminister S. S. Uwarow (1796–1855) war von dem Text so begeistert, dass er ihn persönlich ins Französische übersetzte. Puschkins liberale Freunde wie der Dichter P. A. Wjasemski (1792–1878) waren dagegen irritiert von Puschkins „imperialer“ Wendung.

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