Amanshausers Album

Wohnen im Museum

Madame Folio vor ihrer Villa: symmetrische Räume, kreolische Decke, Veranda, Schiffsboden und Lambrequin-Jalousienverkleidungen.
Madame Folio vor ihrer Villa: symmetrische Räume, kreolische Decke, Veranda, Schiffsboden und Lambrequin-Jalousienverkleidungen. Amanshauser
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Die Hausherrin Solange Folio lebt in einem Kolonialmuseum und freut sich über den Trubel.

Als der Meteorologe Raphaël Folio 1970 das Kolonialhaus in Hell-Bourg kaufte, wusste er genau, was er da ­denkmalschützen ließ. Den Rest seines Lebens – er starb 2018 in hohem Alter – kämpften er und sein Verein für die Erhaltung kreolischer Häuser. Nur ­deshalb gehört das Örtchen inzwischen ­zertifiziert zu den „schönsten Dörfern Frankreichs“.
In Hell-Bourg, im Cirque de Salazie, dem tropischsten von drei Talkesseln auf La Réunion im Indischen Ozean, steht die Natur im Vordergrund, auch beim wichtigsten Kulturdenkmal, der „Villa Folio“, 1871 von einem Import-Export-Händler errichtet und heute nicht weniger als eine beeindruckende Zeitreise.

Neben dem Gartenhäuschen und der Veranda zieht vor allem der spektakuläre Farn- und Orchideengarten die Besucher an. Von Orchideen über Guavenbäume bis zu Zitronengras ist hier alles vorhanden, was auf La Réunion blüht und nützlich ist. Die Zimmerleute, die solche Villen bauten, kamen aus der Marine und empfanden sie Schiffen nach – in perfekter Symmetrie. Bei den regelmäßigen Zyklonen erwies sich ihr wind- und wetterfester Bau als Vorteil.


Raphaëls Witwe, Solange Folio, 95, einst Lehrerin, beobachtet das Treiben der Touristen mit Wohlwollen. In ihrem Museumswohnhaus gibt es nur ein ­einziges nicht öffentlich zugängliches Zimmer. Wird ihr der Trubel zu viel, zieht sie sich dorthin zurück. Bei guter Laune mischt sie sich unter die Gäste, bespricht mit ihnen die Flora oder die Verarbeitungsmethoden der lokalen ­Stachelgurke Chouchou.
Die Madame im violetten Outfit, geistig frisch und energiegeladen, serviert einen milden Rum mit Orchideengeschmack. In klarem Französisch lobt sie den perfekten Sonnentag. Dabei wirkt sie weise bis fröhlich, als wäre dieses Leben ein sanftes Spiel mit garantiert gutem Ausgang. „Die meisten Möbel hier sind von meiner Großmutter, der Tisch zum Beispiel, im Stil von Napoleon III., und die anderen sind von meinem Mann.“ Der selige Raphaël versah in ­seiner Freizeit Holztruhen mit Intarsien  – während sein Enkel, der junge Raphaël, einer der Guides in Hell-Bourg war, ehe er in die Welt zog. 

("Die Presse Schaufenster" vom 17.06.2022)

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