Lokalkritik

Testessen in der Brasserie Poldie

Poldie
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Frankophilie und Weinkompetenz für alle Altersklassen: Die Brasserie Poldie in Wien Leopoldstadt.

Derzeit wohnen ukrainische Flüchtlinge in einigen der barrierefreien 37  Kleinwohnungen der „Residenz am Tabor“, einem lang gestreckten, kräftig gelb gestrichenen Gründerzeithaus mit der Adresse Taborstraße 81; an sich wurden diese für Senioren konzipiert. Der Speisesaal der Residenz in Wien Leopoldstadt dient abends als öffentlich zugäng­liche Brasserie Poldie, bereits jetzt ist der Zustrom aller Altersklassen und dem Vernehmen nach vor allem aus der Anrainerschaft beträchtlich. Längst nicht alle finden im prächtigen Innenhof-Gastgarten, von dem aus man die Hochbeete ein Geschoß darüber erahnen kann, Platz.

Gästefreundlich kalkuliert

Das Lokal wird von Christina und Reinhold Six geführt, die außerdem hinter dem Paul in der Johannesgasse stecken – derzeit wird es zum Pauli umgebaut, unter anderem soll es einen Weinshop geben – sowie dem Oide Donau im 22. Bezirk. Reinhold Six hat sein Faible für Wein während vieler Jahre in der Schweizer Gastronomie vertieft; einer seiner Chefs war dahinter, dass er jeden Wein kosten durfte, den er für Gäste entkorkte. Entsprechend attraktiv präsentiert sich die Weinkarte des Poldie, teilweise verblüffend gästefreundlich kalkuliert ist sie obendrein: Champagnerflaschen etwa starten bei 59 Euro (für den „Blanc de Blancs 1er Cru“ von Pierre Gimonnet).

In der Küche steht Sebastian Slavicek, der zuvor im Fischhandlung-Lokal-Zwitter Goldfisch in der Lerchenfelder Straße mit Meeresfrüchten und Fisch hantiert hat. Auch auf die Karte des Poldie setzt er Meeresgetier wie Austern, roh oder gedämpft mit Liebstöckel, Moules et frites und Jahrgangssardinen von Albert Ménès – auch solche in bretonischer Butter! Die Salade niçoise à la Poldie (14 Euro) gleicht einem Steckspiel aus sorgfältig separat aufbereiteten Zutaten, das je nach Tageslaune immer wieder anders aussieht: Neben Fisolen finden sich darin geschälte, zart säuerlich confierte kleine Paradeiser, wachsweiche Wachteleier und, statt Thunfisch, vorsichtig gegarte Tranchen von bester Makrele mit petrolblau glänzender Haut.

Poldie

Eine beeindruckende gedämpfte Artischocke wird mit aufgeschlagener Cognac-Nussbutter serviert (9 Euro) – ein Genuss, der Fingerfertigkeit und Zeit in Anspruch nimmt. Vichyssoise, diese kalte Erdäpfel-Lauch-Suppe, wird kunstvoll zweifarbig mit grünen Tupfen und Lauchschaum angerichtet und durch panierte Sot-l'y-laisse - „Pfaffenstückchen“ vom Hendl - auf einem Cracker kalorientechnisch aufgerüstet. Mit Couscous gefüllte Tintenfischtuben werden von Erbsen, Marillensauce und Pinienkernen begleitet, ein eher braver Sommergang (22 Euro), gerollter Lammbauch kommt mit Linsen, Kapern und Schalotten-Sellerie-Creme, gelungen (24 Euro). Im Sommer durchkreuzt die Küche des Poldie südfranzösische Gefilde, gen Herbst will man es ­deftiger geben. Knapp vor der Darm-und-Magen-Wurst Andouillette biegt man aber Richtung Taborstraßenpublikum ab.

Brasserie Poldie

Taborstraße 81, 1020 Wien, Tel.: +43/(0)1/356 35 00-15, Restaurant: Di bis Sa: 17–23.30 Uhr.

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