Grätzelwalk

Wien 1: Auf den Spuren von Georg Kreisler

Musiker Markus Kraler (links) und Andreas Schett auf der Wendeltreppe im Südturm des Stephansdoms.
Musiker Markus Kraler (links) und Andreas Schett auf der Wendeltreppe im Südturm des Stephansdoms.(c) Christopher Dickie
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Mit den Neu-Interpreten der Georg-Kreisler-Lieder, Andreas Schett und Markus Kraler vom Ensemble Franui auf Spurensuche des anarchistischen Kult-Chansoniers in der Inneren Stadt.

Lachen, Schritte, Stimmengewirr: Im Südturm des Stephansdoms ist einiges los. „Ob Kreisler hier oben war, wissen wir natürlich nicht“, meint Andreas Schett beim Aufstieg auf der Wendeltreppe, 343 Stufen ins Licht. „Am Kahlenberg war er aber sicher, eine Zeile in seinem berühmten Lied ,Wien ohne Wiener‘ handelt ja davon, wie schön die Stadt, von da oben betrachtet, ohne Einwohner wäre“, ergänzt Markus Kraler. „Das kann man sich beim Blick vom Turm auf die Stadt auch gut vorstellen.“

Apropos Wien ohne Wiener: Nicht nur beim Blick vom Turm kann man sich vorstellen, wie die Stadt wohl ohne Bewohner wäre. Auch im Turm selbst sind keine Einheimischen auszumachen. Nur Touristen. Und natürlich Schett und Kraler, die aber, aus Tirol stammend, eigentlich auch keine sind. Oder doch? Nach wie vielen Jahren in Wien wird man Wiener? Wie wenige Jahre genügen, keiner zu sein?

Neue Schlösser vor historischer Aussicht am Südturm.
Neue Schlösser vor historischer Aussicht am Südturm.(c) Christopher Dickie
Kraler und Schett zwischen Ansichtskarten im Turm-Shop des Stephansdoms.
Kraler und Schett zwischen Ansichtskarten im Turm-Shop des Stephansdoms.(c) Christopher Dickie

Georg Kreisler, 1922 im 9. Bezirk im Sanatorium Hera geboren, in Neubau aufgewachsen, 1938 in die USA geflüchtet, 1943 in den USA eingebürgert und ab 1955 als Entertainer und Kabarettist in Wien tätig, war wohl einer – dafür „ganz sicher kein Österreicher“ (Zitat Kreisler). „Verbittert stellte er nach dem Krieg fest, dass die vor dem NS-Regime Geflüchteten ihre Staatsbürgerschaft nicht zurückbekamen – im Gegensatz zu jenen, die 1938 Deutsche geworden waren, wie er sich ausdrückte“, erklärt Kraler. 1996 schrieb er an die österreichische Regierung, er wünsche keine Glückwünsche mehr zum Geburtstag. Heuer würde der 2011 Verstorbene 100 Jahre alt werden. Denkmal wird keines eingeweiht.

Kult-Bar im Ankerhaus

Präsent ist Kreisler dennoch. Etwa im altehrwürdigen, zum Teil seit dem Mittelalter existierenden Heiligenkreuzerhof in der Schönlaterngasse 5. Genauer gesagt im Atelier von Franui, dem zehnköpfigen Ensemble mit den Leitern Schett und Kraler, das sich nach einer Osttiroler Almwiese benannt hat. Gemeinsam mit dem Puppenspieler und Regisseur Nikolaus Habjan haben sie zahlreiche Kreisler-Lieder musikalisch neu interpretiert und dabei eine oder zwei Stellen geringfügig umgetextet.
„Er war nicht nur ein genialer, scharfer Texter“, meint Schett. „Die musikalische Substanz seiner Lieder ist großartig, wir haben jedes wie ein Schubert-Lied behandelt.“ Man befasse sich natürlich mit dem Menschen, der diese Werke verfasst hat, mit der Zeit, mit den Orten. Ob er wohl in der Wohnung von Kurzzeit-Kabarett-Kollege Helmut Qualtinger werkte, der ebenfalls im Heiligenkreuzerhof wohnte? Eher nicht.

Der Heiligenkreuzerhof in der Schönlaterngasse 5.
Der Heiligenkreuzerhof in der Schönlaterngasse 5.(c) Christopher Dickie
Erinnerung an Qualtinger im Heiligenkreuzer Hof 5. Kreisler und Qualtinger waren kurze Zeit Kabarett-Kollegen.
Erinnerung an Qualtinger im Heiligenkreuzer Hof 5. Kreisler und Qualtinger waren kurze Zeit Kabarett-Kollegen.(c) Christopher Dickie

Dafür war er 1955 in der Spiegelgasse 2 zu Hause – in Sachen Wohnen wie Arbeiten. In dem stattlichen, 1894 von Otto Wagner für die Anker-Versicherung entworfenen Wohn- und Geschäftshaus liegt nämlich im Keller jene Bar, die nach dem Zweiten Weltkrieg von Sängerin Marietta Mackh als Marietta-Bar geführt wurde. Hier wurde Peter Alexander entdeckt, Gerhard Bronner saß gern am Klavier - und führte das Lokal später als Cabaret Fledermaus weiter. Heute ist es ein Tanzlokal: Die „Discotheque Cabaret Fledermaus", Treffpunkt für Nachtschwärmer (fast) jeden Alters.
Hier trat Kreisler, der „tiefgründig Komische“ („Die Zeit“), „rabenschwarze Ulk“ („Süddeutsche“), erstmals mit deutschsprachigen Chansons auf. Zu den bekanntesten dieser Zeit zählen wohl „Tauben vergiften im Park“ oder „Zwei alte Tanten tanzen Tango". Zudem wurde Kreisler Mitglied des Namenlosen Ensembles um Bronner, Wehle und Qualtinger.

(Noch) keine Fußgängerzone: Die Spiegelgasse. Mit Anker verzierter Eingang ins Haus Nr. 2. (rechts), Eingang in die ehemalige Mariette-Bar, heute Tanzlokal Fledermaus (links).
(Noch) keine Fußgängerzone: Die Spiegelgasse. Mit Anker verzierter Eingang ins Haus Nr. 2. (rechts), Eingang in die ehemalige Mariette-Bar, heute Tanzlokal Fledermaus (links).Christopher Dickie

Verschmähte Bretter in der Liliengasse

Ein paar Ecken weiter, in der Liliengasse 3 im kürzlich renovierten Jugendstilhaus des Architekten Ignaz Reiser, pachteten Kreisler und Bronner das Intime Theater (heute: Theater im Zentrum). Hier hatte das Programm „Blattl vor'm Mund“ Premiere. „Als Kabarettist wollte sich Kreisler aber gar nicht sehen“, erzählt Schett. Politisch sah er sich als Anarchist, beruflich als Komponist, Dichter und Sänger - auch wenn seine Lieder nicht ungeteilten Zuspruch erhielten (und später zum Teil sogar im ORF nicht gespielt wurden). Auch hatte er sich mit Kollegen überworfen. 1958 packte er seine Koffer und zog nach München. Später wohnte er auch in Berlin, Basel und Salzburg.

Die Liliengasse, rechts das Theater im Zentrum.
Die Liliengasse, rechts das Theater im Zentrum.Christopher Dickie

„Was uns erstaunt hat, war die Aktualität vieler Texte“, erzählt Kraler. Im Lockdown wirkte ,Das Begräbnis der Freiheit‘ fast wie neu geschrieben. „Und es ist beeindruckend, wie gut die Lieder, die für uns so typisch wienerisch erscheinen mögen, auch in Hamburg oder München funktionieren“, ergänzt Schett. Am 1. Juli erscheint die CD, am 18. Juli jährt sich Kreislers Geburtstag.

ZUM ORT, ZU DEN PERSON

In der Inneren Stadt sorgten in der Nachkriegszeit Bars und Kabarettbühnen wie Simpl und Intimes Theater für ein reges Kulturleben. Mietwohnungen kosten im 1. Wiener Bezirk durchschnittlich 19,84 Euro/m2, Neubauwohnungen rund 19.519 Euro/m2, (Bestand 13.889 Euro/m2).

Andreas Schett und Markus Kraler leiten das zehnköpfige Ensemble Franui. Die CD „Kreisler-Lieder“ ist gemeinsam mit Nikolaus Habjan entstanden und wird am 9. Juli präsentiert. www.franui.at

("Die Presse", Print-Ausgabe, 25.06.2022)

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