Wort der Woche

Technosphäre

Mit dem Begriff Technosphäre – der Summe aller technischen Artefakte – wurde eine Metapher geschaffen, die das schwierige Verhältnis Mensch–Umwelt gut beschreibt.

Wir leben in einer ganz besonderen Zeit – und ich spreche jetzt nicht von der multiplen Krise (Corona, Krieg, Klimawandel, Inflation usw.), die uns derzeit heimsucht: Dieser Jahre, so haben Wissenschaftler berechnet, übersteigt die Masse alle technischen Güter, die wir geschaffen haben – in Summe rund 1,1 Billionen Tonnen –, erstmals jene von allen Lebewesen auf der Erde zusammen. Zwei Drittel davon sind Baumaterialien (Beton, Ziegel, Asphalt etc.), aber auch Stahl und andere Metalle wiegen in der Statistik schwer; Plastik hingegen spielt dabei nur eine Nebenrolle. Um das Ganze etwas anschaulicher zu machen: Auf jeden Menschen entfallen derzeit rund 140 Tonnen technische Materialien. Oder: Der Eiffelturm ist schwerer als alle lebenden Nashörner zusammen.

Kein Wunder, dass manche Wissenschaftler bereits von einer „Technosphäre“ reden, die der Biosphäre (sowie der Atmo-, Hydro- und Lithosphäre) an die Seite gestellt werden müsse. Dieser Begriff wurde 2014 vom US-Geologen Peter Haff geprägt. Er meint, dass die Menschheit schon längst nicht mehr ohne Technosphäre überleben könne – dass uns aber mittlerweile die Kontrolle über sie entglitten ist: Die Technosphäre hat Haff zufolge eigene Gesetzlichkeiten entwickelt und sei, wie es sein Fachkollege Mark Williams ausdrückt, zu einem „Parasiten“ der Biosphäre geworden. Über solche Analogien ist eine reiche Debatte entbrannt – nachzulesen etwa im neuen Buch des großen Historikers Dipesh Chakrabarty „Das Klima der Geschichte im planetarischen Zeitalter“ (444 S., Suhrkamp, 32,90 €). Jedenfalls wurde mit dem Wort „Technosphäre“ eine eindrückliche Metapher für das Verhältnis zwischen Mensch und Umwelt geschaffen.

Auch Wolfgang Heckl, Direktor des Deutschen Museums in München, greift diesen Begriff auf: In „Die Welt der Technik in 100 Objekten“ (686 S., C.H. Beck, 41,10 €) bezeichnet er die 122.000 inventarisierten Artefakte seines Hauses als „Spezies der Technosphäre“. Die in dem Buch vorgestellten Blitzlichter auf 500 Jahre Technikgeschichte zeigen klar, dass Technik „ein gewichtiger Teil der Menschheitsgeschichte“ ist – und dass sie eine kollektive Leistung ist: Nicht nur die großen Wissenschaftler haben der Welt ihren Stempel aufgedrückt; auch unzählige namenlose Erfinder kreierten Innovationen, die die Gesellschaft, die Wirtschaft und die Umwelt prägen und transformieren, sie zum Teil schwer beeinträchtigen, aber auch zur Lösung vieler Probleme beitragen.


Der Autor leitete das Forschungsressort der „Presse“ und ist Wissenschaftskommunikator am AIT.

meinung@diepresse.com

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("Die Presse", Print-Ausgabe, 26.06.2022)

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