Nach Anti-Terror-Razzia nun fix: Neues Gutachten wird erstellt

Bei der Operation Luxor im November 2020 wurden Dutzende Anti-Terror-Razzien in mehreren Bundesländern durchgeführt.
Bei der Operation Luxor im November 2020 wurden Dutzende Anti-Terror-Razzien in mehreren Bundesländern durchgeführt.Erwin Scheriau/APA/picturedesk
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Nach der Großrazzia, die sich gegen mutmaßliche Mitglieder der Terrororganisation „Hamas“ richtete, gehen die Ermittlungen nur sehr schleppend voran. Nun steht fest, dass noch viel mehr Zeit vergehen wird: Laut endgültigem Gerichtsbeschluss muss ein neuer Sachverständiger bestellt werden.

Man könnte den druckfrischen, siebenseitigen Beschluss eines Richtersenats des Oberlandesgerichts (OLG) Graz durchaus als Paukenschlag bezeichnen: Nach der Anti-Terror-Razzia (November 2020) gegen mutmaßliche Hamas-Zellen in Österreich (diese Aktion hatte im Vorfeld viele Staatsschutz-Kräfte gebündelt - möglicherweise wäre der Wien-Terrorist K. F. vorzeitig aufgeflogen, wenn man sich auf ihn konzentriert hätte) kamen die Ermittlungen nie so richtig in Schwung. Das eine oder andere Verfahren wurden bereits ganz eingestellt. Nun muss die Staatsanwaltschaft Graz einen weiteren Rückschlag hinnehmen: Die beiden vom Ankläger im April 2020 bestellten Gutachter (Fachgebiet: Jihadismus, Islamismus, politischer Islam etc.)  werden ihres „Amtes“ enthoben.

Damit gab das OLG der Beschwerde des Beschuldigten M. M. statt. Andere Beschwerdeführer wurden auf diese Entscheidung verwiesen. In Summe hatten mehrere Beschuldigte gegen die beiden Gutachter (es handelt sich um einen Mann und eine Frau) interveniert. Laut den Beschwerden wurde dem Duo Befangenheit und mangelnde Sachkunde vorgeworfen. Andere in Frage kommende Gutachter wurden in den Beschwerden namhaft gemacht.

Lange Verfahrensverzögerung

Das zuständige Grazer Gericht hat demnächst einen neuen Sachverständigen zu bestellen. Dieser muss erst einmal gefunden werden. Wird dann der Neue oder die Neue bestellt, werden die Materialien des umfangreichen Gerichtsakts bzw. große Datenmengen auf dem Computer dieser Person landen. Wer immer es wird, muss sich in den Akt einlesen und in monatelanger, wenn nicht jahrelanger Arbeit analysieren, wie es um die Gesinnung der Beschuldigten steht bzw. ob es Anhaltspunkte für radikal-islamistische Verhaltensweisen gibt. Rein auf Basis polizeilich ermittelter Sachbeweise ist man nämlich in diesem Verfahren noch nicht allzu weit gekommen.     

Schlussendlich ist das fertige Gutachten, welches sich eben mit der ideologischen Einordnung bzw. der allfälligen Gefährlichkeit der Beschuldigten (diese bestreiten die Terror-Vorwürfe bzw. die Vorwürfe in Richtung Terrorismus-Finanzierung) auseinandersetzt, dem Gericht, der Staatsanwaltschaft und den Beschuldigten offiziell vorzulegen. Beschuldigte, die durch diese neue Expertise entlastet werden, dürfen darauf hoffen, erst gar nicht angeklagt zu werden.

Ursprünglich hatte das für das Verfahren zuständige Grazer Gericht die Enthebungsanträge abgewiesen. Den Sachverständigen wurde im Rahmen der gerichtlichen Beweisaufnahme ein erweiterter Auftrag erteilt. Gegen diesen Gerichtsbeschluss hagelte es wiederum Beschwerden.

Jener des Beschuldigten M. M. wurde nun eben nachgekommen. Zum Stolperstein für die Gutachter (beide fühlen sich selbst nicht befangen) wurde eine TV-Diskussion vom Juli 2017. Es ging damals um islamische Kindergärten. Der nun abbestellte Gutachter machte damals dem nunmehrigen Beschwerdeführer M. M. (dieser war bei der Diskussion nicht anwesend) Vorhalte, konkret verwies er auf dessen Zugehörigkeit zur Muslimbruderschaft. Zitat des Gutachters bei der Sendung (laut OLG-Beschluss): „Ich bin nicht der Meinung, dass jemand, der sich selbst als als Kader der Muslimbruderschaft bezeichnet, einen Kindergarten führen kann."

Schiefe Optik

Aus dem OLG-Beschluss: „Das Auftreten des Sachverständigen (...) in der erwähnten Fernsehsendung im Juli 2017, in der er den Namen (des nicht anwesenden) M. M. von sich aus ins Spiel brachte, konnte nach dem Bedeutungsinhalt nach außen den Anschein erwecken, er halte M. M. für einen Aktivisten bzw. (darüber hinausgehend) ein Kadermitglied der Muslimbruderschaft und diese insgesamt für eine islamistische Organisation mit Kontakten zu terroristischen Organisationen."

Und weiter: „Dieser vermittelte Eindruck könnte seinerseits bei einem objektiven Beobachter Zweifel daran entstehen lassen, dass der im Jahr 2017 im Fernsehen noch die bezeichnete Position einnehmende Mag. (...) nunmehr, wenngleich einige Jahre später, als Sachverständiger im Strafverfahren tatsächlich völlig neutral gegenüber M. M. eingestellt ist, zumal im Gutachten bereits die Stellung von M. M. als (Mit-)Gründer oder Mitglied einer Organisation, Moschee oder Kapitalgesellschaft als wesentlicher Indikator dafür herangezogen wird, die jeweilige Einrichtung als Ableger der Muslimbruderschaft bzw als Teil ihres Netzwerkes zu bezeichnen."

Letztlich heißt es auch: „Solcherart ist der äußere Anschein von Befangenheit des zum Sachverständigen bestellten Mag. (...) in Bezug auf den als Beschuldigten geführten M. M. zu bejahen. Dieser Anschein umfasst – zufolge Untrennbarkeit der bisherigen Gutachtertätigkeit – auch die als zweite Sachverständige bestellte (...). Dies führt zur Enthebung der bisherigen Sachverständigen und zum Auftrag an das Erstgericht, (zumindest) einen neuen Sachverständigen zu bestellen."

Anwalt Andreas Schweitzer, einer einer Verteidiger, die mittels Beschwerde gegen die Gutachter vorgegangen waren, begrüßt nun (stellvertretende für die Verteidiger-Riege) die OLG-Entscheidung. Nun hänge vieles von der neu einzuholenden Expertise ab. Zuletzt hatte Schweitzer (er vertritt mehrere Beschuldigte, auch jenen, der nun Recht bekommen hat) in einem Fall eine rechtskräftige Verfahrenseinstellung erwirkt. Davon betroffen war, wie berichtet, ein Islam-Lehrer, der nun vom Staat Entschädigung verlangt.

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