Tour de France

Jan Ullrich, gefallener Popstar auf zwei Rädern

Corbis via Getty Images
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Vor 25 Jahren stürmte Jan Ullrich auf den Radsport-Thron, danach kam der tiefe Fall. Noch heute ist er bei der Tour de France unerwünscht – als hätte es das düstere Doping-Kapitel nie gegeben.

Kopenhagen. Im Rahmenprogramm der 109. Tour de France wird Jan Ullrich keine Rolle spielen. „Es ist nichts geplant“, teilte die Tour-Organisation knapp mit. Wo rund um die 21 Etappen der Frankreich-Rundfahrt ab Freitag die einstigen Größen und weniger Großen des Radsports geehrt, gefeiert und gewürdigt werden, ist für den früheren deutschen Radstar auch 25 Jahre nach dessen Tour-Sieg kein Platz. Als hätte es die Zeit, die als düsteres Doping-Kapitel in die Geschichte einging, nie gegeben.

Dabei hat Ullrich ein Jahrzehnt lang in den Duellen mit Lance Armstrong die Radsport-Fans in den Bann gezogen. „Voilà le Patron“, titelte „L'Équipe“, nachdem der Junge aus Rostock mit den rotblonden Haaren und den Sommersprossen an einem Juli-Tag 1997 in Andorra-Arcalis unwiderstehlich die steilen Rampen hinaufgestürmt war und das Gelbe Trikot an sich gerissen hatte.

Obwohl er im Telekom-Team eigentlich nur der Kronprinz von Titelverteidiger Bjarne Riis war. Doch Ullrich war stärker, und als der Däne ihm das „Go“ gab, war kein Halten mehr. „Das waren die schönsten Momente in meinem Leben als Sportlicher Leiter“, sagt sein einstiger Mentor Rudy Pevenage rückblickend. „Du kommst in ein anderes Leben zurück. Er war überall gefragt. Das hat das Leben von Jan verändert. Die Ruhe war weg. Es war unglaublich.“

Olympia, WM, auch in Graz

Ullrich ist plötzlich Everybody's Darling, Deutschlands Popstar auf zwei Rädern. Ein Kumpeltyp, der im Winter gerne über die Stränge schlägt und ein paar Kilos zu viel mitschleppt. In Deutschland leiden jedes Jahr im Juli Millionen Menschen vor dem Fernseher mit Ullrich mit, wenn es die Alpen und Pyrenäen hinaufgeht.

Sein Talent ist nahezu einzigartig. Ullrich wird Olympiasieger und Weltmeister. 2004 begeistert er auch beim Grazer Altstadt-Kritierum. Der Radstar ist nahbar, redselig. Aber die Tour gewinnt er nicht noch einmal, obwohl ihm Eddy Merckx und Co. fünf oder mehr Siege prophezeien. Lance Armstrong war besser.

Doch es ist Ullrich, der Armstrong zu Höchstleistungen treibt. „Er hatte so viel Talent. Er machte mir Angst. Dieser Mann ließ mich früh aufstehen, ließ mich früh zu Bett gehen“, sagte Armstrong in der ARD-Doku „Being Jan Ullrich“. Siebenmal gewinnt der wie besessene und vom Krebs geheilte Texaner die Tour – mit unerlaubten Mitteln, wie sich später herausstellt. Für Ullrich bleibt oft nur der zweite Platz.

Als Armstrong aufhört, will Ullrich 2006 noch einmal auf den Tour-Thron. Ein letzter Angriff für das große Ziel. Es bleibt ein unerfüllter Wunsch. In Spanien wird er bei der „Operación Puerto“ als Kunde des Dopingarztes Eufemiano Fuentes enttarnt. Ullrich wird vor der Tour aus dem Starterfeld genommen, das T-Mobile-Team zieht einen schnellen Schlussstrich. Der tragische Wendepunkt in Ullrichs Leben.

Es folgen Ermittlungen der Staatsanwaltschaft Bonn. Mit einem Schlag ist die Karriere beendet. Zur Sperre kommt es aber erst 2012 durch den Internationalen Sportgerichtshof Cas.

Psychiatrie und Besuch von Armstrong

Auch privat liefert Ullrich fortan Negativ-Schlagzeilen. Wie 2014, als er in der Schweiz mit 1,8 Promille im Blut bei deutlich erhöhter Geschwindigkeit gleich zwei Autos rammt. Ullrich kommt mit einer Bewährungsstrafe davon.

Mit seiner Frau und den Kindern zieht er nach Mallorca, doch nach dreizehn Jahren zerbricht die Ehe. Ullrich bleibt alleine auf Mallorca zurück. Ein schockierendes Video macht die Runde. Im Zuge eines Streits auf dem Nachbar-Grundstück von TV-Star Til Schweiger wird er vorübergehend in Polizeigewahrsam genommen. Ullrich kommt zurück nach Deutschland, wo es zum nächsten Skandal kommt. In einem Frankfurter Luxushotel gibt es eine handgreifliche Auseinandersetzung mit einer Escort-Dame.

Ullrich steht unter Alkohol- und Drogeneinfluss. Es kommt schließlich zu einer Einweisung in eine Psychiatrie. Ullrich ist ganz unten, bis sein alter Rivale Armstrong plötzlich auftaucht. „Das war unheimlich für mich. Ich sah einen Mann an einem Ort wie noch kein menschliches Wesen zuvor. In so einem Zustand hatte ich noch keinen gesehen“, sagte Armstrong. Ullrich erholt sich wieder und berichtet später in Armstrongs Podcast: „Ich war auf dem Weg von Marco Pantani. Fast tot.“

Inzwischen lebt der 48-jährige Ullrich wieder in der Abgeschiedenheit im Breisgau, in der Nähe zu seinen vier Kindern. Es gibt Pläne für ein Bike-Zentrum, öffentliche Auftritte meidet er. Zumindest Ex-Mentor Pevenage hält das für einen Fehler. „Belgien, Holland, Italien, Spanien – all die Leute wollen Jan Ullrich sehen.“ Am liebsten so wie einst an jenem Sommertag in Andorra-Arcalis.

(dpa/red.)

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