Offener Brief

Wissenschaftler gegen Atomkraft-Taxonomie

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FRANCE-ENERGY-ELECTRICITY-NUCLEAR PLANT(c) AFP via Getty Images (JEFF PACHOUD)
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In einem offenen Brief an das EU-Parlament lehnen Atom-Wissenschaftler und Experten den Plan ab, Atomkraft als „nachhaltig“ einzustufen und damit Zugang zu grünen Fonds-Geldern zu ermöglichen.

24 Wissenschaftler sprechen sich mit Nachdruck dagegen aus, Atomkraft als nachhaltig einzustufen und damit AKW-Projekten den Zugang zu grünen Fonds-Geld zu öffnen. Die Experten melden sich jetzt zu Wort, weil sich in der nächsten Woche das EU-Parlament mit der Taxonomie beschäftigt.

Unter den Wissenschaftlern sind auch Wolfgang Liebert und Nikolaus Müllner, (Institut für Sicherheits- und Risiko-Wissenschaften an der Universität für Bodenkultur in Wien), Paul Dorfmann (Science Policy Research Unit, University of Sussex) oder Wolfgang Renneberg, (Ex-Direktor der deutschen Nuklearaufsicht). Die meisten Wissenschaftler arbeiten in der „International Nuclear Risk Assessment Group“ zusammen.

Der Brief ist an die Präsidentin des Europäischen Parlaments sowie an die Vorsitzenden der einzelnen Parlamentsfraktionen gerichtet. In dem Brief heißt es unter anderem, dass es „wirtschaftlich keinen Sinn macht“, Atomkraft in die Taxonomie-Verordnung aufzunehmen. Außerdem sei „die industrielle Infrastruktur“ nicht entsprechend, um Treibhausgase im ausreichenden Umfang einzusparen.

Im Gegenteil: Das Ressourcen- und das Entsorgungsproblem, denen die Bevölkerung ausgesetzt werden, werde noch weiter verschärft. Dazu komme noch, dass der Krieg, den Russland gegen die Ukraine führt, zeige, welche Gefahren in und um AKW durch Kriege entstehen können. Zudem bestehe die Gefahr, dass nukleares Material in die falschen Hände geraten könnte. Vor diesem Hintergrund wäre es „unverantwortlich“, Atomkraft unter den Schirm der Taxonomie zu stellen.

Die Kritik der Wissenschaftler im Detail:

  • „Atomkraft ist in absoluten Zahlen zu teuer;
  • Atomkraft ist relativ zu teuer (bezogen auf die Kosten zur Vermeidung von Treibhausgasen)
  • In der Beurteilung selbst der weltweit größten Banken und privaten Investoren ist Atomkraft zu unwirtschaftlich und zu risikobehaftet. Auch deshalb, weil keine privatwirtschaftliche Versicherung bereit ist, Atomkraftwerke gegen die möglichen Unfallkosten radioaktiver Freisetzungen ausreichend zu versichern
  • Atomkraft ist nicht nachhaltig wegen der ungelösten Probleme des langlebigen radioaktiven Abfalls
  • Atomkraft ist sicherheitspolitisch gefährlich, weil eine Vielzahl neuer Reaktoren und gerade auch neu vorgeschlagene Reaktortypen dazu beitragen, das Risiko der Weiterverbreitung von Atomwaffen zu erhöhen
  • Atomkraft ist militärpolitisch gefährlich, wie der Ukraine Krieg praktisch zeigt
  • Atomkraft ist inhärent gefährlich wegen unvermeidbarer Unfälle aufgrund von menschlichen Fehlern, technischen Fehlern und äußeren Einwirkungen.
  • Atomenergie ist konfrontiert mit zu vielen ungelösten ökonomischen, technischen und Sicherheitsproblemen sogenannter „neuer“ Reaktorkonzepte, einschließlich „fortgeschrittener“ und kleiner modularer Reaktoren (SMRs)
  • Atomkraft ist zu groß und zu komplex, um industriell, technologisch und operativ rechtzeitig für die Begrenzung des Klimawandels zur Verfügung zu stehen. In Anbetracht der langen Entwicklungs- Planungs- und Bauzeiten, der vorhanden Baukapazitäten sowie der dafür benötigten Kosten ist Atomenergie bereits allein deshalb keine realistische Option.“

Im Statement von diesem Donnerstag bekräftigen die Wissenschaftler einen im März veröffentlichten Brief an die EU-Kommission, den vier ehemalige Leiter von Atomaufsichtsbehörden bzw -stellen verfasst hatten. Darin wird der Atomkraft die Fähigkeit abgesprochen, irgendeinen Aspekt der Klimakrise nachhaltig lösen zu können.

Zumindest diesen Punkt sieht die EU-Kommission anders: „Es muss anerkannt werden, dass der fossile Gas- und der Kernenergiesektor zur Dekarbonisierung der Wirtschaft der Union beitragen können“, hieß es, als der Taxonomie-Vorschlag präsentiert worden ist. Dieser ist am späten Abend des Silvestertages 2021 von der EU-Kommission veröffentlicht worden. Die Bedingungen für den Zugang zu Geld aus grünen Geldtöpfen: Die AKW müssen den aktuellen technischen Standards entsprechen und Bauanträge bis spätestens 2045 genehmigt sein.

Zudem wird den Betreibern auferlegt, dass bis spätestens 2050 ein Plan für die Entsorgung der Brennstäbe, also für ein Endlager, vorgewiesen werden muss. Diese Argumentation folgt vor allem der Position Frankreichs – ein Land mit einem sehr hohen Stromanteil aus der Kernkraft. Unterstützt wurden die Franzosen vor allem von Belgien und Polen.

In der kommenden Woche beschäftigt die Taxonomie das Europa-Parlament. Sollte sich eine Mehrheit dagegen aussprechen, dann kann das Vorhaben gekippt werden. Geschieht dies nicht, so tritt die Taxonomie-Verordnung in Kraft.

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