Reportage

Wenn ein achtjähriges Kind im Krieg stirbt

Margarita Gaponenko spielte im Garten ihres ostukrainischen Dorfs, als ihr ein Artilleriegeschoss den Brustkorb und Kopf zerfetzte. Das Mädchen ist eines von mehr als 320 Kindern, die Russlands Armee auf dem Gewissen hat.

Wjatscheslaw Gaponenko kennt jede Kurve und jedes Schlagloch auf der Landstraße, die von seinem Heimatdorf Bezruky in die Kleinstadt Derhachi führt. Mit seinem alten Lada fährt er diese zehn Kilometer lange Strecke seit Jahren nach Charkiw, in die zweitgrößte Stadt der Ukraine im Nordosten des Landes. Aber an diesem Dienstagvormittag sind diese zehn Kilometer plötzlich die längsten seines Lebens. Ein russisches Artilleriegeschoss war im Garten seines Hauses explodiert. Auf dem Beifahrersitz liegt nun seine blutüberströmte Schwägerin, die sich vor Schmerzen krümmt. Ihr Körper ist von Schrapnellwunden übersät. Ihr Bauch ist offen. Auf dem Rücksitz sitzt Gaponenkos Frau, Ludmila, die die achtjährige Tochter im Arm hält, die ebenfalls über und über mit Blut verschmiert ist. Die kleine Margarita hat eine Kopfverletzung, und auf der linken Seite ihres Brustkorbs, dort, wo das Herz ist, klafft ein großes Loch.

Nach einer gefühlten Ewigkeit erreicht der Familienvater endlich das Krankenhaus in Derhachi. „Es war um 12.30 Uhr, als wir draußen diese unglaublichen Schreie und Klagelaute hörten“, erzählt Swetlana Berezhna. Sie ist die Chefärztin des Krankenhauses und war mit ihren Kollegen zum Wagen geeilt. „Es war schrecklich. Die beiden schwer Verwundeten, dazu Herr und Frau Gaponenko in Schock, ohne Schuhe, nur in Unterwäsche, voller Blut“, erinnert sich die 53-Jährige kopfschüttelnd. „Wir haben schon viel erlebt, schließlich befinden wir uns in einem Kriegsgebiet“, erklärt die Chirurgin mit weißem Arztkittel im Flur des Krankenhauses. „Aber so etwas haben wir noch nicht gesehen. Das werde ich mein ganzes Leben nicht vergessen.“

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