Wenn ich sehe, wie diese Spitzenathleten mit geradezu halsbrecherischer Selbstverständlichkeit ihre monatelange, entbehrungsreiche Vorbereitung aufs Spiel setzen, um die Straße mit ihren millimeterbreiten Reifen bis zur letzten Rille und unentwegt darüber hinaus auszunutzen, empfinde ich einen seltsamen Schauer. Über die Faszination der Tour de France.
Ich solle die Lautstärke des TV-Geräts ruhig etwas aufdrehen, sagte mir meine Mutter. An den Radrennen, die ich als Teenager verfolgte, zeigte sie zwar nicht das geringste Interesse, dieses monotone Geräusch surrender Räder, über denen ein schwebender Helikopter kreiste, während ein unaufgeregter, beinahe gelangweilter Reporter allerlei Anekdoten über Landschaft und Geschichte erzählte, ließ sie jedoch besonders sanft in den so heiß geliebten Nachmittagsschlaf gleiten.
Ich tat ihr den Gefallen. Gespannt lauschte ich den Legenden, die sich entlang der Strecken aufdrängten, und diesem ganzen bunten Treiben, bei dem überdurchschnittlich schlanke Männer – bis heute fristet der Frauenradsport ein erschreckendes Schattendasein – meist in einem größeren Pulk um die Wette strampelten, ein erstaunliches, quasi-erhabenes Gewicht verliehen. So döste meine Mutter vor allem im Juli, wenn die Tour de France auf dem Bildschirm flimmerte, besonders friedlich durch die Tage. Gestört wurde diese nachmittägliche Harmonie nur von unvorhergesehen in die Übertragungen platzenden Werbeblöcken, Endsprints, plötzlichen Attacken und Stürzen. Verlegen stellte ich in solchen Fällen die Lautstärke leiser, nur ja nicht riskierend, dass ich womöglich auf den winzigen Röhrenfernseher im feuchten, von Asseln besetzten Keller ausweichen musste.
Stürze haben es mir seither besonders angetan, und auch wenn ich heute selbst regelmäßig einschlummere. Sobald sich inmitten irgendeiner zweihundert Kilometer langen Etappe zwischen zwei Städten die altbekannten Dramaturgien solcher Rennen mitsamt der charakteristischen Geräuschkulisse einstellen, empfinde ich einen seltsamen, beinahe schon erotischen Schauer, wenn ich sehe, wie diese Spitzenathleten mit geradezu halsbrecherischer Selbstverständlichkeit ihre monatelange, entbehrungsreiche Vorbereitung aufs Spiel setzen, um die Straße mit ihren millimeterbreiten Reifen bis zur letzten Rille und unentwegt darüber hinaus auszunutzen. Dabei bin ich keiner, der sich am Unglück anderer ergötzt. Weder bin ich empfänglich für Schadenfreude noch für die Reize der Schmerzen. Was mich an diesen Stürzen in den Bann zieht, ist ihre alles durchkreuzende Macht, ihre aus dem gleichförmigen, sich immer schneller fortbewegenden Treiben der Dinge ragende Absolutheit. Sie sind wie ein Punkt inmitten eines unendlichen Satzes.