Wiener Originale

Der Nino aus Wien: Bob Dylan aus Hirschstetten

Rastlos produziert er ein Erfolgsalbum nach dem anderen. Der schüchterne Literat und Liedermacher, der erst auf der Bühne locker wird, hat vor starken Gefühlen keine Scheu.

Hirschstetten. In Donaustadt. 22. Hieb.

Der Stadtteil Wiens ist die Heimat des österreichischen Raketenpioniers Guido von Pirquet, der Flugbahnen für Raumsonden zu mehreren Planeten berechnet. Jene zur Venus, die er 1928 veröffentlicht, wird 33 Jahre später von der ersten interplanetaren Sonde zur Venus exakt so benutzt.

Und in Hirschstetten, zwischen dem Badeteich, dem Ersten Stadlauer Jugendstil-Kino-Theater und den 60.000 Quadratmetern Flora und Fauna der städtischen Blumengärten, wächst auch Der Nino aus Wien auf: „Der beste junge Liedermacher des Landes“, wie er bereits vor mehr als zehn Jahren auf dem „Falter“-Cover bezeichnet wird.

Der 1987 als Nino Mandl geborene Literat und Liedermacher, der seine Werke am Beginn über MySpace veröffentlicht, ist seit seiner Single Du Oasch in der Musikszene schlagartig bekannt. Es ist eine Abrechnung mit seinem Freund: „Du Oasch, host ma die Freindin ausgsponnt, i verzeih da ned, na . . . mei Herz, des bricht jetzt, die Tränen san nah.“

Bald gelten Musik und Texte des Bob Dylan aus Hirschstetten mit seinen ganz eigenen Wienerliedern, die auch an Nick Cave erinnern und als Hirschstettner Soul bezeichnet werden, als Kult. Als Zehnjähriger hört Nino das blaue Beatles-Album und ist begeistert: „Danach wollte ich mehr Musik aus dieser Zeit kennenlernen und hab die frühen Pink Floyd entdeckt.“ Als 15-Jährigen nimmt ihn der Vater zu einem Bob-Dylan-Auftritt in die Stadthalle mit. Nach dem Konzert besorgt sich Nino alle Dylan-Platten und ist seit damals sein Fan.

„Der Nino aus Wien schlug ähnlich außerirdisch in der Wiener Musikszene auf wie der junge Bob Dylan einst in Greenwich Village . . . mit dem seligen Lächeln eines Knaben, der mit einem kleinen Löffel den Ozean ausschöpft“, schreibt „Presse“-Musikkritiker Samir H. Köck 2009. In jenem Jahr, in dem der unberechenbare Singer-Songwriter mit seinem Spinat Song beim Protestsongcontest Aufsehen erregt und unter dem Titel „The Euphoric Flenson“ auch Lieder mit verzerrter Stimme aufnimmt. Ninos Alter Ego soll seine dunkle und traurige Seite dokumentieren – die pure Resignation.

Fünf Jahre später, nachdem die berührenden Alben Bäume und Träume erscheinen, meint Köck, Nino aus Wien schaffe in seinen Texten, „das Kunststück, Tristesse und Ereignislosigkeit zum Abenteuer umzudeuten. Den Zauber seiner Kunst macht auch diese gewisse Gefährdetheit aus, die bei seinen Liveauftritten ins Auge sticht.“

Nachtaktiv, rastlos und kettenrauchend produziert Nino aus Wien ein Album nach dem anderen. Dennoch beteuert er: „Das Wort ,Erfolg‘ ist nicht in meinem Sprachgebrauch.“ Der schüchterne Punk und Poet, der erst auf der Bühne locker und selbstbewusst wird, tritt beim Steirischen Herbst, im Wiener Konzerthaus oder in der Hamburger Elbphilharmonie auf. Mehr als sieben Mal ist er für den Amadeus Austrian Music Award nominiert und wird 2016 in der Kategorie Alternative Pop/Rock ausgezeichnet.

Gemeinsam tritt Nino mit Ernst Molden – „Wir haben den kürzesten Soundcheck, den es gibt“ – auf. Vor sieben Jahren veröffentlichen sie ihr erstes Album. Mit dem pathetischen Titel Unser Österreich. Immerhin schreibt Moldens Großmutter Paula Preradović den Text der Bundeshymne. Im vergangenen Jahr folgt Zirkus. Es sind hochpoetische Lieder für den Film „Ein Clown. Ein Leben“ über den Circus Roncalli und dessen Gründer, Bernhard Paul. Das Album der beiden Musikpoeten beginnt mit dem Satz: „Warad i a Clown, hätt i ka Vertrauen in die Welt.“

Auch zusammen mit Wanda, Voodoo Jürgens, Anja Plaschg – besser bekannt als Soap & Skin –, aber auch mit Austropop-Legende Stefanie Werger oder Ildikó Raimondi tritt Nino auf. Mit Natalie Ofenböck gründet er 2011 das Band-Projekt Krixi, Kraxi und die Kroxn, im selben Jahr erscheint das bisher einzige Album, „Die Gegenwart hängt uns schon lange zum Hals heraus“. Ein Jahr später folgt das Hörbuch Fräulein Gustl, das auf Arthur-Schnitzler-Texten basiert.

André Heller verblüfft Nino, das Multitalent, in einem Interview mit seinen spontan-lockeren Antworten, tritt in der Brieflos-Show auf und scheut sich auch nicht, für FM 4 eine Wien-Wanderung mit Gerda Rogers von Hirschstetten in die Innenstadt zu unternehmen.

Bis zu seinem 14. Lebensjahr kennt man ihn in Hirschstetten als hervorragenden Tormann. Er will Stürmer werden. Doch bald hat er keine Lust mehr, Fußball zu spielen. Heute ist er bekennender Rapid-Fan, den man mit einem grün-weißen Schal auf der Straße treffen kann. Auch wenn er vor vier Jahren in „Unentschieden gegen Ried“ der Enttäuschung über seinen Lieblingsklub freien Lauf lässt: „Oba jetzt hob i gnuag. Von dem Eierkick. Do geh i liaba in d' Natur und schau den Blattln beim Wehen zua, ois dass i mia so an Kick gib . . .“

Das aktuelle Album vom Nino aus Wien heißt Eiszeit. Der Titel, meint er, ist auch ein Hinweis auf den Lockdown, die eisige Zeit der Pandemie: „Ich bin draufgekommen, wie sehr ich diese zufälligen Begegnungen, Partys und Reisen vermisse. Jetzt war ich halt allein, in mir selbst und zu Hause.“

Und auch weil die Mama früher einen Eissalon im 22. Hieb hat, ist der Titel des neuesten Albums Eiszeit.

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