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Wie der Ukraine-Krieg den Bevölkerungen zusetzt

(c) Peter Kufner
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Demografie. Russland und die Ukraine litten schon bisher am Schwund ihrer Einwohnerschaft. Die Krieg verschärft dieses Problem noch weiter.

Der Autor

Burkhard Bischof war viele Jahre Außenpolitikexperte der „Presse“ und langjähriger Leiter des Debattenressorts.

Der Rückgang der russischen Bevölkerung ist laut seinen eigenen Angaben das Problem, das Wladimir Putin den Schlaf raubt. Erst im Juni erklärte er: „Demografie ist unsere wichtigste Aufgabe. Wir brauchen mehr Menschen – und sie sollten gesund sein.“ Mit seinem Krieg gegen die Ukraine ist er allerdings gerade dabei, das Problem des Einwohnerschwundes in Russland langfristig weiter zu verschärfen. Noch größer ist das Problem der schrumpfenden Bevölkerung jedoch in der Ukraine.

Demografische Probleme plagen Russland seit der Endphase der Sowjetunion: sinkende Geburtenraten, hohe Sterblichkeitsraten, Entvölkerung der ländlichen Regionen und gleichzeitiges Anschwellen der Großstädte, Rückgang der erwerbstätigen und eine rapide alternde Bevölkerung, zu wenig Einwanderung, um die Defizite in der Entwicklung der Einwohnerschaft auszugleichen. Die Fertilitätsrate russischer Frauen lag 2021 dank großzügiger staatlicher Förderung bei 1,8 Geburten pro Frau (1998 noch 1,2); rechnerisch müssen aber etwa 2,1 Kinder pro Frau geboren werden, um die Bevölkerungszahl langfristig auf konstantem Niveau zu halten.

Dann schlich sich ab März 2020 auch noch Covid-19 über die Grenzen des Riesenlandes. Nach offiziellen Angaben forderte die Pandemie in Russland bis Juni 381.000 Todesopfer. Beim Vergleich mit der Bevölkerungsentwicklung zwischen 2015 und 2019 lag die Übersterblichkeit in Russland zwischen März 2020 und Jänner 2022 aber bei über einer Million – sprich: die Zahl der Coronatoten dürfte deutlich höher sein, als die offizielle Statistik ausweist. Nach dem Kollaps der UdSSR war in den 1990er-Jahren die Geburtenrate in Russland überaus niedrig – wie auch in anderen Ländern, in denen die wirtschaftliche und soziale Krise die Zukunftsperspektiven verdüsterte. Die Generation der 20- bis 35-Jährigen ist zahlenmäßig also nicht so groß, das merken vor allem die Rekrutierungsbüros der russischen Streitkräfte.

Wie sich die Verluste im Krieg gegen die Ukraine auf die Bevölkerungsentwicklung in Russland auswirken werden, ist nicht absehbar. Westliche Experten schätzen die Zahl der russischen Gefallenen auf mindestens 15.000, die ukrainischen Angaben über getötete russische Soldaten liegen mehr als doppelt so hoch. Moskau selbst schweigt zu eigenen Opferzahlen.

Da Putin es bisher vermeidet, die Generalmobilmachung zu verkünden, um vor der russischen Bevölkerung weiter zu verschleiern, dass er in der Ukraine gerade einen brutalen Vernichtungskrieg und keine „militärische Spezialoperation“ durchführt, ist die Militärführung auf eine Schattenmobilisierung angewiesen, um die Kriegsverluste ersetzen zu können. Angeworben werden vor allem junge Männer in den Kaukasusrepubliken und anderen Armutsregionen, wo der Eintritt in die Armee oft der Ausweg aus Arbeitslosigkeit und sozialer Misere ist.

Für die Umsetzung seiner neoimperialen Pläne und für die Aufrechterhaltung des Status einer – zumindest militärischen – Supermacht braucht Putin eine entsprechend intakte Bevölkerungsstruktur. Derzeit liegt Russlands Einwohnerzahl bei 144 Millionen. Dabei gibt es Indizien dafür, dass Putins Feldzug in der Ukraine auch der Verbesserung der russischen Bevölkerungsstatistik dient: Russifizierung der besetzten Gebiete, massenhaft Ausgabe von russischen Pässen, Zwangsverschleppungen von ukrainischen Zivilisten auf russisches Staatsgebiet.

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