Reportage

Wo sich das Schicksal des Donbass entscheidet

Bachmut ist die Schlüsselstadt im Kampf um die Ostukraine. Fällt sie, ist der Weg für die russische Armee frei. Die verbliebenen Bewohner sind auf das Schlimmste gefasst.

Auf den letzten Kilometern nach Bachmut sind nur noch Militärfahrzeuge unterwegs. Kleintransporter mit Soldaten rasen schaukelnd über die holprige Verbindungsstraße zur Stadt im Donbass. Lastwagen dröhnen mit Munitionskisten und Proviant vorbei. Dazwischen immer wieder kleine Kolonnen gepanzerter Mannschaftswagen. Auch die sonst strikt geheim gehaltenen Artilleriegeschütze sind zu sehen. Sie werden aus Feldwegen auf die Hauptstraße gezogen. Darunter sind meist ukrainische Haubitzen, aber auch amerikanische M777, die Kiew in Washington bestellt hat. Man bekommt sogar die deutsche Panzerhaubitze 2000 zu Gesicht, von der es in der Ukraine bisher nur sieben Stück geben soll. Das deutsche Präzisionsgeschütz ist auf einem Panzertransportfahrzeug auf dem Weg zu einer neuen Gefechtsposition.

In Bachmut sind alle Geschäfte, bis auf einige wenige Supermärkte, geschlossen. Die Straßen menschenleer. Allgegenwärtig ist das Donnern von Artilleriegefechten. Bachmut ist die neue Frontstadt im Donbass, nachdem Sewerodonezk und am Wochenende auch Lyssytschansk gefallen sind. Den Verlust dieser beide Städte mag die ukrainische Führung verkraften. Zumal die russischen Truppen diese Eroberungen hart erkaufen mussten. Über vier Monate dauerte ihre Offensive. Dabei verlor Russland überproportional viele Soldaten und Militärfahrzeuge, während die Ukraine Zeit gewann. „Es war unsere Taktik“, sagte Serhij Hajdaj, der Gouverneur von Luhansk, der „Presse“. „Wir brauchen Zeit, um Waffen aus dem Westen zu erhalten.“ Er prognostiziert den frühen Herbst als Start der ukrainischen Gegenoffensive.

Dann wäre Kramatorsk eingekesselt

Aber nun stehen die Truppen Moskaus vor Bachmut. Sollten sie den strategisch wichtigen Ort erobern, wäre für die russische Armee der Weg nach Kramatorsk frei, dem administrativen Zentrum des Oblasts Donezk. Und dann wären die territorialen Gewinne Russlands nur mehr schwer rückgängig zu machen. Kramatorsk wird im Norden bedroht. Sollte nun von Bachmut her noch eine zusätzliche Front hinzukommen, droht eine Einkesselung. „Wir sind auf alles vorbereitet, auch auf eine Einkesselung“, sagte der Bürgermeister Oleksander Goncharenko der „Presse“ schon im Juni. Das wäre das Worst-Case-Szenario für die Stadt, den Donbass und die gesamte Ukraine.

Bachmut war einmal eine beschauliche Stadt mit viel Grün, wenigen Hochhäusern und idyllischen Vororten, in denen jedes Haus einen Gemüsegarten und Obstbäume hat. Jetzt ist Bachmut eine Schlüsselstadt im Kampf um den Donbass. Was das für zerstörerische Konsequenzen mit sich bringt, weiß man aus dem rund 60 Kilometer östlich gelegenen Sewerodonezk. Über 70 Prozent aller Gebäude sind dort zerstört oder beschädigt. Auch von Bachmut könnte bald nicht mehr viel übrig sein. Die russische Armee verfolgt die Taktik der verbrannten Erde. Zuerst wird alles niedergebombt, dann rückt die Infanterie ein.

Das weiß auch Alexander Martschenko, der erste Assistent des Bürgermeisters. „Die Russen treffen die Infrastruktur und zivile Wohngebäude“, sagt der 43-Jährige vor einer devastierten Schule. „Wir haben längst aufgehört, die Attacken zu zählen“, fügt er verzweifelt hinzu. Mittlerweile liegen alle Fabriken Bachmuts in Trümmern. Man merkt dem 43-Jährigen an, dass er sich trotz seiner schusssicheren Weste im Freien nicht wohlfühlt. Er sondiert die Gegend, blickt immer wieder zum Himmel. Er arbeitet mit seinen verbliebenen Kollegen aus Sicherheitsgründen im Keller der Stadtverwaltung.

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