Gastkommentar

Wird der Ukraine-Krieg die Verbreitung nuklearer Waffen anheizen?

Viele Beobachter sind zu dem Schluss gekommen, dass die Ukraine einen verhängnisvollen Fehler begangen hat, als sie zustimmte, ihr Atomwaffenarsenal aufzugeben. Haben sie Recht?

Joseph S. Nye, Jr. ist Professor an der Harvard University und ehemaliger stellvertretender US-Verteidigungsministe. Sein Buch Do Morals Matter? Presidents and Foreign Policy from FDR to Trump erschien 2020 bei Oxford University Press.

Als die Sowjetunion 1991 zusammenbrach, erbte die Ukraine einen Teil ihres Atomwaffenarsenals. Im Budapester Memorandum von 1994 erklärte sich die Ukraine jedoch bereit, diese Waffen an Russland zurückzugeben. Im Gegenzug erhielt die Ukraine „Zusicherungen“ Russlands, des Vereinigten Königreichs und der Vereinigten Staaten, dass ihre Souveränität und ihre Grenzen respektiert werden würden. Russland hat dieses Versprechen mit der Annexion der Krim im Jahr 2014 schamlos gebrochen und das Memorandum mit seinem umfassenden Einmarsch in die Ukraine am 24. Februar zerrissen. Viele Beobachter sind zu dem Schluss gekommen, dass die Ukraine einen verhängnisvollen Fehler begangen hat, als sie zustimmte, ihr Atomwaffenarsenal (einst das drittgrößte der Welt) aufzugeben. Haben sie Recht?

Anfang der 1960er-Jahre sagte US-Präsident John F. Kennedy voraus, dass im nächsten Jahrzehnt mindestens 25 Staaten über Atomwaffen verfügen würden. Doch 1968 einigten sich die Mitgliedstaaten der Vereinten Nationen auf einen Nichtverbreitungsvertrag, der den Besitz von Atomwaffen auf die fünf Staaten beschränkte, die bereits über Atomwaffen verfügten (die USA, die Sowjetunion, Großbritannien, Frankreich und China). Heute verfügen nur noch neun Staaten über Atomwaffen – die fünf in dem Vertrag genannten Unterzeichnerstaaten sowie Israel, Indien, Pakistan und Nordkorea. Dennoch ziehen weitere „Schwellenstaaten“ (Länder, die technologisch in der Lage sind, schnell Atomwaffen zu bauen), die diese Option in Betracht.

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