Bestandsaufnahme

Klimabericht soll Wege zu Österreichs Klimaneutralität weisen

Globale Aussagen über das Weltklima und seine Veränderung sind für viele weit weg. Der österreichische Klimabericht soll nun deutlich machen, was die Veränderung konkret für bestimmte Gebiete und Sektoren im eigenen Land heißt – und Handlungsoptionen aufzeigen.

Die Meldungen häufen sich: Im Burgenland droht der Neusiedler See auszutrocknen, in Kärnten haben extreme Regenfälle ganze Ortschaften verwüstet, in Salzburg und Tirol schmelzen die Gletscher und tauen die Permafrostböden auf. Die Veränderung des Weltklimas ist ein globaler Prozess, doch er ist überall spürbar – mit regional recht unterschiedlichen Effekten. Die Landwirtschaft ist anders betroffen als der Tourismus oder die Energiewirtschaft. Mit dem zweiten österreichischen Sachstandsbericht zum Klimawandel (APCC Assessment Report on Climate Change) sollen die Auswirkungen von der globalen auf die lokale Ebene übertragen werden.

Die Gesellschaft der Zukunft gestalten

Mehr als 120 Wissenschaftler?innen arbeiten an diesem interdisziplinären Projekt mit, das vom Klima- und Energiefonds finanziert wird. Ziel ist eine fundierte Analyse darüber, mit welchen Folgen Österreich zu rechnen hat, wenn sich das Klima weiter wandelt und die Pariser Klimaziele nicht erreicht werden. „Wir wollen aber auch Handlungsoptionen aufzeigen, damit Österreich den Weg zur Klimaneutralität wissensbasiert einschlagen kann“, betonte Harald Rieder von der Universität für Bodenkultur, einer der Leitautoren des Berichts. Drei Jahre lang werden die Expert?innen vorhandenes Wissen zusammentragen, um Anpassungspotenziale zu eruieren und Maßnahmen zur raschen Senkung von Treibhausgasemissionen zu bewerten.

„Österreich ist eines der wenigen Länder, das mit einem eigenen Klimabericht eine nationale Analyse macht“, betont Margreth Keiler vom Institut für Geographie der Universität Innsbruck und der Österreichischen Akademie der Wissenschaften (ÖAW) die Vorreiterrolle. Durch das interdisziplinäre Herangehen sollen Wissenslücken aufgezeigt und geschlossen werden. Der Klimabericht soll aber nicht nur Antworten auf die Frage von lokalen Veränderungen und Bedrohungen liefern, sondern auch die Betroffenheit unterschiedlicher Sektoren unter die Lupe nehmen. Klimaveränderungen haben nämlich längst Auswirkungen auf alle Lebensbereiche von der Wasserversorgung über die Ernährung bis hin zu Tourismus oder Mobilität.

„Im Kern geht es darum, wie unsere Gesellschaft der Zukunft aussieht“, meint Keywan Riahi vom Institut für Angewandte Systemanalyse IIASA bei Wien. Deshalb will der Bericht aufzeigen, wie es der Gesellschaft gelingen kann, treibhausgasneutral zu werden. Dazu müsse man viel stärker als jetzt auf der Bedarfsseite ansetzen. Weil unsere Bedürfnisse – etwa, wie wir uns ernähren oder wie wir von A nach B gelangen – ein System und damit die Infrastruktur prägen.

Community vernetzte sich stärker

„Wir befinden uns in der Klimakrise, aber die Bereitschaft der Menschen zur Veränderung steigt“, ist Daniel Huppmann, Koordinator des Forschungsbereichs Scenario Services & Scientific Software am IIASA, überzeugt. Das zeigten beispielsweise die Forderungen, die kürzlich vom Klimarat präsentiert wurden. Deshalb sollen die Erkenntnisse der Wissenschaftler?innen für den österreichischen Klimabericht auch laufend mit der Zivilgesellschaft diskutiert werden, um herauszuarbeiten, welche Maßnahmen Synergien ergeben und wo es Zielkonflikte gibt.

Der Klima- und Energiefonds hat schon 2014 einen ersten Sachstandsbericht Klimawandel für Österreich vorgestellt. Dieser habe viel bewegt, die Ergebnisse seien in viele Klimastrategien und Klimamaßnahmen eingeflossen, berichtet Gernot Wörther, Programmmanager beim Klima- und Energiefonds. Seither habe sich die wissenschaftliche Community stärker vernetzt, die Datenbasis sei wesentlich größer und die Methoden hätten sich stark weiterentwickelt. „Der zweite Sachstandsbericht ist die größte Studie im Klimabereich, die wir je hatten“, meinte Wörther.

Immerhin investiert der Fonds rund zwei Millionen Euro in das auf drei Jahre angelegte Projekt. Zeit, mit Maßnahmen zu warten, bis der Endbericht fertig ist, gibt es nicht, stellten die Wissenschaftler?innen klar. „Uns läuft die Zeit davon, wir müssen in der Umsetzung noch schneller werden“, betonte Huppmann. Deshalb will das Autor:innenteam auch immer wieder Zwischenergebnisse veröffentlichen.

In Zahlen

120 Wissenschaftler?innen aus unterschiedlichen Disziplinen arbeiten am österreichischen Klimabericht mit.

2 Millionen Euro
stellt der Klima- und Energiefonds für das Projekt zur Verfügung.

74,6Millionen TonnenKohlendioxidäquivalent wurden 2020 in Österreich emittiert, um 6,2 Prozent weniger als gegenüber dem Kyoto-Basisjahr 1990.

("Die Presse", Print-Ausgabe, 09.07.2022)

Lesen Sie mehr zu diesen Themen:


Dieser Browser wird nicht mehr unterstützt
Bitte wechseln Sie zu einem unterstützten Browser wie Chrome, Firefox, Safari oder Edge.