Leitartikel

Wann endlich sagt die Regierung, dass der Winter hart werden kann?

Putin hat Europa den „kalten Krieg“ erklärt, in Deutschland werden längst Krisenszenarien durchgespielt, nur in Österreich geschieht reichlich wenig.

„Die Lage ist ernst“, sagte Energieministerin Leonore Gewessler vor wenigen Tagen, als Russland neuerlich die Gaslieferungen dramatisch reduzierte. Ab Montag wird wegen Wartungsarbeiten gar kein Gas durch die Gaspipeline North Stream fließen. Und dann? Dann heißt es hoffen, dass Putin den Gashahn wieder aufdreht. Doch was, wenn nicht? Außer Worten vom Ernst der Lage und bangem Blick auf die halb leeren Gasspeicher im Land passiert ziemlich wenig.

Zumindest wird mittlerweile mit den großen Industriekonzernen im Land geredet. Das war ja in der Vergangenheit nicht immer der Fall. Auch wenn diese Kommunikation, wie es aus Industriekreisen heißt, inhaltlich verbesserungsfähig ist. Nach wie vor hüten sich Gewessler und Co. die „Was wäre, wenn“-Frage zu stellen und mit der Wirtschaft zu teilen. Was wäre, wenn Putin seinen „kalten Krieg“ gegen den Westen kommenden Winter nur allzu wörtlich nimmt?

Vielleicht ist es nicht ganz fair, immer auf die deutsche Entschlossenheit, namentlich auf den grünen Wirtschaftsminister Robert Habeck hinzuweisen. Österreich hat schließlich keinen Meerzugang, um in Windeseile einen LNG-Terminal zu errichten, Österreich hat keinen Kohlebergbau und keine Kohlekraftwerke, die schnell einmal weiterbetrieben werden können, von Atomkraftwerken ganz zu schweigen. Aber Österreich hat ein riesiges Potenzial an Biogasanlagen. Experten schätzen, dass man damit bis zu 30 Prozent das Gasbedarfs abdecken könnte. Natürlich nicht von heute auf morgen, aber wann in die Gänge kommen, wenn nicht jetzt?

In Deutschland kündigte der Immobilienkonzern Vonovia an, die Gasheizungen in den Wohnungen zwischen 23 und sechs Uhr auf 17 Grad Celsius zu drosseln. Der Konzern besitzt oder verwaltet mehr als 600.000 Wohnungen. Macht er das einfach so, oder gab es Gespräche mit der deutschen Regierung? Ziemlich sicher Zweiteres. Auch Deutsche Wohnen kündigte ähnliche Schritte an. Vor einem halben Jahr wollten Teile der deutschen Grünen und SDP diese Konzerne noch enteignen. Jetzt ist man froh, dass diese „Schritte“ von Privatunternehmen verkündet wurden. Ob sich Wiener Wohnen auch traut, die Gas- oder Fernwärmeheizungen in den Krisenmodus zu stellen? Übrigens: Vonovia erwischte mit der Gassparaktion ihre österreichische Tochterfirma Buwog auf dem falschen Fuß. „In Österreich ist das kein Thema“, hieß es dort auf „Presse“-Anfrage.

Und genau das ist der Punkt. Vieles ist offiziell „kein Thema“, was aber ein Thema sein sollte. Ob aus politischem Kalkül, Bequemlichkeit oder dem österreichischen Mantra „Ist sich bisher immer ausgegangen, wird sich auch diesmal ausgehen“, sei dahingestellt. Vermutlich ist es eine Mischung aus allem. Nur um Missverständnisse zu vermeiden: Es geht nicht darum, dass der Staat schon wieder einspringen und Preise deckeln soll. Es geht vor allem darum, den Menschen reinen Wein einzuschenken und die Rahmenbedingungen für die Selbsthilfe zu verbessern.

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