Unterwegs

Tourist im eigenen Land

Wir spielen wieder Tourist im eigenen Land und staunen über Servicekräfte in der Gastro, die für drei arbeiten.

Heimat, unbekannte Heimat. Es ist ja nicht so, dass man jeden Winkel des eigenen Landes kennen würde. Nicht einmal der eigenen Stadt. Ein Bekannter hat unlängst den westlichsten, östlichsten, nördlichsten und südlichsten sowie den tiefsten und höchsten Punkt Wiens aufgesucht. Dafür stand er, die Zuordnung sollte nicht schwer fallen, in einem Kukuruzfeld zwischen Stammersdorf und Hagenbrunn, auf der Gänsehaufentraverse, nahe der Lainzer Tiergartenmauer, zwischen Kledering und Rannersdorf, südlich der Barbarabrücke mit den Füßen in der Donau und auf dem Döblinger Hermannskogel (542 Meter über Adria), auf den er schon als Schüler getrieben wurde, damals ohne besonderes Lustempfinden. Erinnert mich an eine Story im Falter vor zig Jahren: Zwei Redakteure, Klaus Nüchtern der eine, gehen die Wiener Stadtgrenze ab, eine mehrtägige Expedition und Reise um sich selbst herum (vermutlich nicht immer ganz nüchtern). Als nächstes vermisst mein Bekannter übrigens Österreich.

Wir bleiben im Land, in der schönen Wachau. Von der Personalknappheit hat man schon gehört. Ein Kellner schüttet uns sein Herz aus. 80 Stunden in der Woche, seit Mai 14 Kilo abgenommen. „Wenn der letzte Gast weg ist, setz' ich mich hin mit einem Achterl und rea' einmal.“

Im Service haben sie zwei Ukrainer; einer, der jetzt Teller wegräumt, hatte zwei Lokale in Kiew (er durfte mit drei Kindern das Land verlassen). Er kam mit einem teuren, großen Auto. Dafür schlägt ihm von den neidigen Kleingeistern unter uns Häme und Feindseligkeit entgegen.

timo.voelker@diepresse.com

Nächste Woche: Karl Gaulhofer

("Die Presse", Print-Ausgabe, 10.07.2022)

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