Leitartikel

Die Kritik an den Sanktionen ist auch nicht zu Ende gedacht

 Harald Mahrer, im Vorjahr bei einem "Presse"-Interview vor einem Gemälde in seinem Büro.
Harald Mahrer, im Vorjahr bei einem "Presse"-Interview vor einem Gemälde in seinem Büro.Die Presse/Clemens Fabry
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Harald Mahrer meint, die Sanktionen seien „nicht zu Ende gedacht“, und startet damit eine Debatte, die uns noch länger beschäftigen wird.

Noch ist alles ruhig. Wirtschaftskammer-Präsident Harald Mahrer hat mit seiner Kritik an den Russland-Sanktionen einen Tabubruch begangen – und kaum jemand reagiert darauf. Aber man kann mit einiger Sicherheit annehmen: Das kommt noch.

Sollten die Szenarien eintreten, die jetzt im Raum stehen, nämlich eine stark steigende Inflation und noch stärker steigende Energiepreise, verbunden vielleicht auch noch mit einer Energieknappheit, dann ist im Herbst mit heftigen Reaktionen zu rechnen. Wenn größere Teile der Bevölkerung ihre Stromrechnung nicht mehr bezahlen und ihre Wohnungen nicht mehr heizen können, wird es zu Protesten kommen, gegen die jene der Corona-Maßnahmengegner wie ein gemütlicher Kindergeburtstag wirken. Und logischerweise wird da bald die Frage auftauchen, ob denn die Sanktionen wirklich notwendig und sinnvoll waren.

Hat Harald Mahrer mit seinen Aussagen recht? Mit einigem sicher. Wohlstand und soziale Sicherheit sind in Gefahr, wenn sich selbst durchschnittlich verdienende Haushalte Strom und Heizung nicht mehr leisten können. Und dass der „Preiszettel“ der Sanktionen nicht laut kommuniziert wurde, ist eine durchaus richtige Beobachtung.

Trotzdem zwei Einwände: Erstens agiert Mahrer mit seinen Aussagen wie ein politischer Beobachter, der von außen die Entscheidungen der Regierung kommentiert. Das ist er aber nicht: Als Wirtschaftskammer-Präsident und mehr noch als Wirtschaftsbund-Präsident hatte und hat er alle Möglichkeiten, den österreichischen Kurs mitzubestimmen. Schwer vorstellbar, dass die Regierung den Weg der Sanktionen gegen den Widerstand des ÖVP-Wirtschaftsflügels mitgegangen wäre. Was man statt der Sanktionen hätte machen sollen, sagt Mahrer aber nicht.

Der zweite Einwand ist gewichtiger: Mahrer wirft den EU-Regierungen vor, die Sanktionen „nicht zu Ende gedacht“ oder „nur mit einer Gehirnhälfte gedacht“ zu haben. Man dürfe nicht nur in Richtung Ukraine schielen, sondern müsse auch Wohlstand und soziale Sicherheit im Auge haben. Aber ist dieses Argument zu Ende gedacht? Bei den Sanktionen geht es natürlich um die Ukraine, um die Solidarität mit einem Volk, das einem Angriffskrieg ausgesetzt ist. Gleichzeitig jedoch geht es natürlich auch um Europa selbst und den Umgang mit Russland, einem Land, das hegemoniale Träume hegt, eine Führungsrolle in Europa anstrebt und bereit ist, dafür militärische Mittel einzusetzen. Keine Sanktionen angesichts eines militärischen Überfalls – heißt das, dass man Russland einfach gewähren lässt? Endet das in der Ukraine? Oder in Georgien? In den baltischen Staaten? Und wären die Folgen russischer Großmachtspolitik für uns nicht schlimmer als die Folgen der Sanktionen?

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