Konzert

Element of Crime: Im Neurosengarten des Pop

Was braucht es für ein romantisches Lied? Das Meer und die Straßenbahn, erklärte Sven Regener (Mitte), Romancier und Sänger von Element of Crime.
Was braucht es für ein romantisches Lied? Das Meer und die Straßenbahn, erklärte Sven Regener (Mitte), Romancier und Sänger von Element of Crime.(c) Katrin Nussmayr
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Element of Crime lockten in ein elegisch-melancholisches Wunderland, in dem das Unhappy End das eigentliche Happy End ist. Dazu peitschte der Regen in der Metastadt.

„Da ist man ein paar Jahre nicht da, und schon sperrt das Café Westend zu. Es wird einem alles weggenommen“, haderte Sänger Sven Regener mit dem unrühmlichen Schicksal seines Wiener Lieblingslokals. Geprägt von seinem ersten Auftritt in Wien, der 1987 im U4 stattfand, blieb das Café auch in den Jahren größten Erfolgs ein magischer Ort für ihn. Ganz so, als ob er Oskar Schmidts berühmtes Lied „Es wird im Leben dir mehr genommen als gegeben“ verinnerlicht hätte, murmelte Regener gegen Ende seiner Ansage, dass es wohl ganz gut so sei, dass sich die Welt verändere. Notfalls halt zum Schlechteren.

Seinem Naturell entsprechend ist das Unhappy End wohl das bessere Ende, denn kein Popkünstler im deutschen Sprachraum kann Gefühle der Ambivalenz und der Melancholie besser in Liedtexte übersetzen als er. Als Sänger ist er ein stoischer Steuermann der aufgepeitschten Gefühle, als Poet mischt er Elegie mit Nüchternheit, Melancholie mit Schnoddrigkeit. Mit diesem Kunstgriff umschifft er alle Gefahren des Kitschs und kann sich doch bis auf den Seelengrund schauen lassen. Am Samstagabend in der Wiener Metastadt etwa mit dem grandiosen Rückgriff auf den Song „Geh doch hin“, von „Damals hinterm Mond“, dem ersten deutschsprachigen Album von Element of Crime, das auch schon 31 Jahre auf dem Buckel hat. Aggressives Trompetenriff, markantes Schifferklavier und scharfes Saxofon leiteten ein, dann gab Regener den vergeblich gegen die eigenen Gefühle revoltierten Protagonisten eines getarnten Liebeslieds. Mit der rauesten seiner Stimmen.

Das mehr als doppelbödige Szenario führt einen Verliebten vor, dessen Schwarm in einen anderen Mann verknallt ist, der von ihr nichts wissen will. Der unglückliche Held versucht, Grenzen zu ziehen. „Frag mich nicht, was er macht. Was soll mich das kümmern? Und ich weiß auch nicht, wer das ist, die neben ihm steht.“ Und dann folgt so eine Regener-Songzeile, die paradox ist, wie es Hildegard-Knef-Texte zuweilen waren: „Dort, wo du nicht hinsiehst, steht er und schaut weg.“ Jakob Ilja groovte dazu mit geschlossenen Augen, tanzte mit seiner weinenden E-Gitarre. Regener nestelte an seiner Trompete herum und gab sich als Sänger rüde.

Hinein in die dunklen Ecken

Popchanson wird das gern genannt, weil der Terminus Popmusik hierzulande zu sehr mit Fröhlichkeit, nicht selten gekünstelter, aufgeladen ist. Dieses mutige Hinein in die dunklen Ecken der Emotionalität hat Element of Crime von ihrem ersten deutschen Album an ausgezeichnet. Ihre ersten fünf englischsprachigen Alben sind fast vergessen. Bei der Band natürlich nicht. Sie überraschte an diesem Abend mit einer maliziösen Version von „Don't You Ever Come Back“ von 1989. Auch hier ist der Antiheld einer, für den die Liebe eine Art Unfall darstellt. „I saw you going out and round the corner. I hope they had the cigarettes you need. I killed your cat, I burned the pot plants and your picture. Don't you ever, don't you ever come back.“

All den Unwohlsein verursachenden Gefühlen entspricht die feuchte Wetterlage in vielen Songs der Band. Dazu passte, dass der Regen an diesem Abend auch auf die Metastadt peitschte. Natürlich rhythmisch. Wohl ausgewählt war deshalb der Opener „Das Gewitter“. Die elegische Linienführung des Lieds tarnte klug die klandestin dem Normaloleben innewohnende Gewalt, die Regener in Metaphern wie „Auch im Hallensee wohnt ein Meer, das will raus“ verpackt.

„Wo die Neurosen wuchern, will ich Landschaftsgärtner sein“, verlautete er in „Straßenbahn des Todes“ und riet den Hobbysongwritern im Publikum zu Liedern mit Meer und mit Straßenbahn, „die Romantik kommt dann von ganz allein. Ohne Scheiß. Probiert es einfach aus.“ Immer noch ist er ein Künstler, der, anstatt einfache Antworten zu geben, lieber essenzielle Fragen stellt. „Wie viele Erdbeereise muss der Mensch noch essen, bevor er endlich einmal sagt: ,Ich bin dafür?‘“ An diesem bittersüßen Abend sicher keines. Denn da waren alle „dafür“.

("Die Presse", Print-Ausgabe, 11.07.2022)

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