Enthüllungsvideo

Prozess gegen Lijana Kaggwa könnte Germany's Next Topmodel verändern

Lijana Kaggwa war 2020 Finalistin bei Germany's Next Topmodel.
Lijana Kaggwa war 2020 Finalistin bei Germany's Next Topmodel.(c) imago images/Eventpress (Eventpress Radke)
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Zwei Jahre nach ihrer Teilnahme bei der Modelsendung sprach Lijana Kaggwa öffentlich in einem Video über prekäre Umstände der Produktion. Nun steht sie vor Gericht. Was ihr Fall verändern könnte.

Seit 2006 sitzen jährlich (primär) Mädchen vor den Bildschirmen und schauen jungen Frauen dabei zu, wie sie Woche für Woche sogenannte Challenges absolvieren, nur um ihrem Traum Model zu werden, näherzukommen. Und auch 2022 setzt man immer noch auf das Überschreiten von Grenzen, den Aufbau von Druck. Die Rede ist von Germany's Next Topmodel. Die Show steht wieder in der Kritik, nachdem die ehemalige Finalistin Lijana Kaggwa in einem öffentlichen Video schwere Vorwürfe gegen die Produktion erhoben hatte. Darin sprach sie von manipulativem Verhalten der Crew, psychischer Gewalt und einzelnen konkreten Vorfällen hinter den Kulissen.

Kaggwa berichtet unter anderem, wie sie von Produzenten und Redakteuren am Set gegen Mitbewerberinnen aufgestachelt worden sei, dabei seien ihr immer wieder Worte in den Mund gelegt worden. Die Teilnehmerinnen dürfen das Haus ihren Schilderungen zufolge nicht verlassen, auch nicht, um spazieren zu gehen oder die Familie zu kontaktieren, es sei denn, es wird gefilmt. Zugriff zu ihrem Handy hätten sie ebenso keinen, Lagerkoller sei hier vorprogrammiert. Insgesamt würde so sehr viel Druck aufgebaut werden, Ventile, um diesen abzulassen, gebe es absichtlich keine. Dass Aussagen und ganze Szenen im Schnitt aus dem Kontext gerissen werden, ein altbekannter Vorwurf gegenüber Castingshows, bekräftigte Kaggwa ebenso. Knapp drei Millionen Aufrufe hatte das Enthüllungsvideo im Juli. 

Personenschutz und Klage

Sie selbst ist die Anti-Heldin der 15. Staffel, dargestellt wurde sie als die überehrgeizige Zicke - wohl für die Quote. Während der Ausstrahlung erhielt sie Personenschutz, im Netz wurde ihr gedroht, ebenso wie auf offener Straße, wie Kaggwa selbst sagt. Bereits im Live-Finale setzte sie mit einer Rede ein Zeichen gegen Hass im Netz und stieg aus der Show aus. Sie ist die Erste, die öffentlich schildert, was es bedeutet, auf den Bildschirmen eines Millionenpublikums missliebig dargestellt zu werden. Nach der Veröffentlichung ihres Videos stärkten ihr andere Teilnehmerinnen den Rücken, Nathalie Volk und Neele Bronst etwa.

Die Schilderungen brachten Kaggwa kurzerhand eine Klage ein. Die 25-Jährige sollte eine Unterlassungserklärung unterschreiben und ihre beiden Videos offline nehmen, widersetzte sich dem aber und landete vor Gericht. Die Produktionsfirma Seven One beanstandete fünf Stellen aus dem Video als unwahr und geschäftsschädigend. Der „Süddeutschen Zeitung“ liegt die Gerichtsakte vor. Der deutschen Tageszeitung zufolge hat das Landesgericht Hamburg der Firma nun in drei von fünf Punkten recht gegeben. Jene Punkte, die der ehemaligen Finalistin zugestanden wurden, könnten die Show aber maßgeblich verändern.

Geheimhaltungsklausel unwirksam?

In einer ersten Verfügung im Juni gab das Gericht den Verantwortlichen in einigen Punkten recht. So darf Kaggwa etwa nicht mehr behaupten, dass die Kandidatinnen nur einmal wöchentlich eine Lebensmittel-Einkaufsliste verfassen durften oder dass die Füße einzelner Models vor einer Modenschau eingecremt worden seien, mutmaßlich, damit sie ausrutschen. Was die heutige Influencerin aber sehr wohl dem neuesten Beschluss zufolge öffentlich machen darf, so schreibt die „Süddeutsche Zeitung“, ist, dass bei den Dreharbeiten für die Sendung „ganze Handlungen vorgeschrieben“ werden. Begründet wurde das vom Gericht mit dem allgemeinen Verständnis der Aussage. Diese würde nicht nur die Vorgabe von Dialogen umfassen, sondern das „Einwirken auf das gesamte Verhalten der Teilnehmerinnen zum Zwecke der filmischen Verwertung“.

Zudem stufte das Landesgericht die vertraglich vereinbarte „umfassende und zeitlich unbefristete“ Schweigepflicht, die Kandidatinnen bei einer Teilnahme unterschreiben müssen, in der ersten Verfügung als unwirksam ein. Unterlagen, die ebenfalls der „Süddeutschen Zeitung“ vorliegen, würden zeigen, dass die Produktionsfirma den Vorwurf, Lijana Kaggwa habe mit ihrem Video gegen die Geheimhaltungsklausel verstoßen, im späteren Verfahren fallen ließ. Eventuell wollte man damit einen Präzedenzfall umgehen. Denn die Entscheidung darüber, ob eine vertragliche Geheimhaltungsklausel vom Gericht tatsächlich für unwirksam erklärt werden könnte, wurde so umgangen. Auf Nachfrage der „Süddeutschen Zeitung“ hieß es vonseiten Pro Sieben, der Punkt musste „aus unserer Sicht nicht weiter vertieft werden“, es sei bei dem Verfahren nämlich nicht darauf angekommen, ob es neben einem gesetzlichen auch einen vertraglichen Unterlassungsanspruch gab.

Kritikerinnen und Kritiker sehen darin jedenfalls eine Chance für alle Teilnehmerinnen, öffentlich gegen die Produktionsbedingungen zu protestieren. Denn eventuell könnte man an die als unwirksam eingestufte unbefristete Schweigepflicht gerichtlich anknüpfen. Indessen hat die Produktionsfirma Seven One ein neues Verfahren gegen weitere einzelne Äußerungen von Lijana Kaggwa eingeleitet, für die 18. Staffel der Sendung werden bereits Teilnehmerinnen gecastet.

(evdin)

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