Der internationale Druck auf die Enthüllungsplattform steigt. Weltweit bieten Computerfreaks, Hacker und Idealisten Speicherplatz sowie digitales Asyl auf ihren Internet-Servern an. Jetzt auch in Österreich.
Wien. Jene 250.000 Dokumente der US-Außenpolitik, die in digitaler Form auf den Servern der Enthüllungsplattform Wikileaks ruhen, könnten demnächst in Österreich digitales Asyl bekommen. Der weltweiten Welle der Solidarität schlossen sich am Montag auch zwei österreichische Organisationen an, die dem Whistleblower-Netzwerk Server und Datenleitungen zur Verfügung stellen wollen.
An vorderster Front agieren die internationale Piratenpartei und ihr österreichischer Ableger. Gemeinsam mit Piratenparteien aus Deutschland, Luxemburg und der Schweiz wollen die Computeraktivisten Server und Netzkapazitäten zur Verfügung stellen, „damit bisherige und künftige Veröffentlichungen von Whistleblower-Webseiten gesichert sind“, sagt Markus Stoff, Vorstandsmitglied der österreichischen Piratenpartei. Bereits vergangene Woche war die Piratenpartei mit der Ersatzadresse wikileaks.ch eingesprungen, nachdem wikileaks.org aus dem Netz entfernt worden war.
Hierzulande gehören der Piratenpartei 562 Mitglieder an, die meisten von ihnen stammen aus dem IT-Bereich. Viele sind mit der Hackerszene vernetzt oder pflegen Kontakte zum Chaos Computer Club (CCC). Strukturelle Verschränkungen gibt es jedoch nicht. Die wichtigsten Ziele der Piratenparteien, die in mehreren Ländern Europas aktiv sind, sind mehr direkte Demokratie, mehr Informationsfreiheit und ein besserer Datenschutz. Kurzum: Ideale, die jenen von Wikileaks nicht unähnlich sind.
Boulevardpresse jagt Mitarbeiter
Dabei wollen Stoff und sein Team nicht nur Wikileaks einen sicheren Hafen bieten. Prinzipiell, sagt er, soll die Infrastruktur all jenen zur Verfügung stehen, die sich für mehr Transparenz in der Gesellschaft einsetzen. Auch andere Whistleblower-Websites wie cryptome.org seien willkommen.
Von Wikileaks hat die Piratenpartei noch kein Feedback. Doch genau das würde man brauchen, um den Plan auch durchsetzen zu können. Ziel des Projekts ist nämlich eine quasi offiziell von Wikileaks zertifizierte Parallelstruktur, die im Fall der totalen Stilllegung der originalen Wikileaks-Server die Arbeit weiter verrichten kann.
Dafür braucht es jedoch die Kooperation von Wikileaks, einer Organisation, die das, was sie von der Welt einfordert, selbst nicht ist: transparent. Eine Telefonnummer, unter der jedermann anrufen kann, gibt es nicht. Niemand weiß, wie viele Personen damit beschäftigt sind, das Portal zu betreiben. Neben dem inzwischen per internationalem Haftbefehl gesuchten Julian Assange sollen es jedoch einige hundert Freiwillige sein. Die meisten von ihnen sind Computerfreaks, die vor allem für die Sicherheit der technischen Infrastruktur verantwortlich zeichnen.
In der europäischen Hackerszene gilt Deutschland als Hochburg für Sympathisanten. Österreich war bisher eher Nebenschauplatz. Bei vielen Mitgliedern liegen seit der „Cablegate“-Affäre die Nerven blank. Indessen sind Sensationsreporter aus aller Welt auf der Jagd nach „Homestories“ bei den Datenpiraten.
Angst vor Hackerangriffen
Untereinander, erzählt ein Insider, kommunizieren viele Mitglieder über Mailinglisten. In einem dieser Mailings soll zuletzt eindringlich vor nicht authorisierten Kontakten mit Medien gewarnt worden sein.
Dabei hat die Organisation trotz des massiven Drucks aus Washington eines inzwischen erreicht: Die Website ist praktisch nicht mehr aus dem Internet zu entfernen. Am Sonntag erging der internationale Aufruf an Sympathisanten, Inhalte von Wikileaks auf eigene Webserver zu kopieren und zu verbreiten. Bis Montagabend folgten der Aufforderung 208 Seiten, viele von ihnen allerdings mit sehr beschränkter Kapazität, was die Zahl der bearbeitbaren Seitenaufrufe betrifft.
In wenigen Tagen schon wird auch die heimische Bürgerrechtsorganisation Quintessenz eine Wikileaks-Kopie eröffnen, die auf einem Server in Österreich liegt. Vorher jedoch wollen die Betreiber ihre Server so gut es geht absichern. Grund ist die Furcht vor Hackerangriffen, die immer wieder zu Problemen bei der Erreichbarkeit anderer „Mirror“-Seiten führen. Laut Chris Jeitler von Quintessenz ist es für den Hightech-Nachrichtendienst des US-Militärs, die NSA, ein Leichtes, auch hierzulande entsprechende Angriffe über das Internet durchzuführen. Dass hinter den Angriffen tatsächlich die NSA steht, konnte bisher noch nicht eindeutig nachgewiesen werden. Mehr zu Wikileaks: Seite 4, 6
("Die Presse", Print-Ausgabe, 07.12.2010)