Gastkommentar

Sichere Abtreibungen sind auch in Österreich keine Selbstverständlichkeit

Demonstrierende vor dem Höchstgericht in Washington.
Demonstrierende vor dem Höchstgericht in Washington.(c) REUTERS (EVELYN HOCKSTEIN)
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An einem Tag wurden in Deutschland die Frauen- und Selbstbestimmungsrechte gestärkt und in den USA eben jene zurück ins Mittelalter katapultiert. Selbst in Österreich sind niederschwellige, sichere Schwangerschaftsabbrüche eine Frage des Wohnortes und des Einkommens.

Meri Disoski ist Frauenvorsitzende bei den Grünen und Eva-Maria Holzleitner ist Frauenvorsitzende der SPÖ.

Erst vor wenigen Wochen feierten wir vormittags die Abschaffung von Paragraf 219a durch die deutsche Ampelkoalition. Endlich fällt das „Werbeverbot“. Das bedeutet: Ärzt:innen dürfen künftig über Schwangerschaftsabbrüche informieren. Nachmittags des gleichen Tages waren wir entsetzt und wütend: Das (rechts)konservativ dominierte US-Höchstgericht kippt das landesweite Grundrecht auf Abtreibung. Ein Schritt vorwärts, der andere Jahrzehnte zurück. Die Parallelität dieser beiden konträren Entscheidungen ist surreal und folgenreich.

Das Recht auf Abtreibung in den USA basierte auf einem Urteil von 1973, genannt „Roe V. Wade“. Das hat der oberste Gerichtshof nun aufgehoben. Ein geleaktes Dokument hat die Entscheidung bereits im Vorfeld publik gemacht.  Seitdem protestieren US-Frauenrechtler:innen lautstark.

Durch die Entscheidung wird ein Albtraum wahr: Schwangerschaftsabbrüche werden in vielen US-Bundesstaaten verboten, ungewollt Schwangere damit in die gefährliche Illegalität getrieben. Denn Abtreibungsverbote verhindern keine Abtreibungen, jedoch ihre sichere Durchführung. Studien bestätigen, dass jährlich weltweit zehntausende Frauen durch illegale Schwangerschaftsabbrüche sterben. Die von Ex-Präsident Trump bestellten Höchstrichter und Höchstrichterinnen tragen jetzt die Verantwortung dafür, dass Amerikanerinnen weniger Rechte haben, als ihre Mütter und Großmütter. Und dafür, wenn im selbsternannten „Land of the free“ eine ungewollt Schwangere eine illegale Abtreibung mit ihrem Leben bezahlt.

Informationsverbot aus NS-Zeit ist Geschichte

Fast gleichzeitig wurde im deutschen Bundestag auf Vorschlag von SPD, Grünen und FDP die Streichung des Paragrafen 219a aus dem Strafgesetzbuch mit großer Mehrheit angenommen. Damit ist das von den Nationalsozialisten eingeführte Informationsverbot über Schwangerschaftsabbrüche endlich Geschichte. Ärzt:innen dürfen künftig Informationen über Abtreibungen veröffentlichen, ohne Strafverfolgung befürchten zu müssen. Vorangegangene Versuche zur Streichung des Paragrafen scheiterten jahrzehntelang an der Regierungsbeteiligung von CDU/CSU, die auch diesmal zusammen mit der AFD gegen den Beschluss stimmte.

In einem anderen EU-Staat, nämlich Polen, führt die rechtskonservative Regierung seit Jahren einen Kreuzzug gegen Frauenrechte. Analogien zu „The Handmaid’s Tale“ sind naheliegend: Die fiktive TV-Serie spielt in Gilead, einem streng patriarchalen, christlich-fundamentalistischen Gottesstaat indem Frauen vom Staat als Brutkästen missbraucht werden. Die polnische Regierung setzt diese Dystopie um und führte 2020 ein de facto Abtreibungsverbot ein, das Frauen dazu zwingt, eine Schwangerschaft unter allen Umständen auszutragen. Jetzt soll auch ein „Schwangerenregister“ kommen. Erhalten Ärzt:innen Kenntnis von einer Schwangerschaft, muss diese künftig in einem medizinischen Melderegister eingetragen werden. Behörden wie Staatsanwaltschaften oder Geheimdienste sollen darauf zugreifen können. Um zu kontrollieren, ob Frauen nach neun Monaten ein Kind zur Welt gebracht haben – oder nicht. Das ist staatlicher Geburtszwang.

Verbot reduziert die Zahl der Abbrüche nicht

Auch in Österreich gibt es regelmäßig Angriffe auf das Selbstbestimmungsrecht von Frauen. Im Regierungsprogramm von ÖVP-FPÖ war von der „Beratung vor geplanten Schwangerschaftsabbrüchen“ und der „Verhinderung von Spätabtreibungen“ zu lesen. Im Vorjahr haben wir drei einschlägige Petitionen im Nationalrat debattiert. Sie forderten etwa eine offizielle Statistik und eine anonyme Motivforschung zu Abbrüchen. Während die beiden letztgenannten Forderungen von zwei ÖVP-Ministerinnen öffentlich unterstützt wurden, lehnen wir sie ab.

Warum? Abbrüche sind privat zu finanzieren, kosten bis zu 800 Euro und stellen für ungewollt Schwangere eine finanzielle Belastung dar. Würde, wie anderswo üblich, die Sozialversicherung die Kosten tragen, wären nicht nur Statistiken verfügbar, sondern wir würden sicheren Abbrüchen für alle Frauen in Österreich einen großen Schritt näherkommen. Zur Motivforschung ist zu sagen: Das Motiv, eine ungewollte Schwangerschaft abbrechen zu wollen, ist eine ungewollte Schwangerschaft abbrechen zu wollen. Mehr hat weder Staat, Kirche oder sonst wen zu interessieren. Auch führen Statistiken und Motivforschung weder dazu, dass mehr Schwangerschaften ausgetragen werden, noch reduzieren sie die Zahl der Abbrüche.

Es macht uns wütend

Als Frauenvorsitzende unserer Parteien wollen wir 2022 in Österreich mit Selbstverständlichkeit sagen können: „Natürlich sind niederschwellige, sichere Schwangerschaftsabbrüche österreichweit garantiert!“ Aber das können wir nicht. Und das macht uns wütend. Als Frauenpolitikerinnen und als Frauen.

Es macht uns wütend, dass sichere Abtreibungen in Österreich eine Frage des Wohnortes und auch des Einkommens sind. Dass die Versorgungslage in Tirol und in Vorarlberg desaströs, im Burgenland inexistent ist. Es macht uns wütend, dass religiöse Fundamentalist:innen Frauen fundierte Entscheidungen über ihren eigenen Körper beharrlich abzusprechen versuchen und sie entmündigen wollen. Und wir sind davon überzeugt, dass die reproduktive und sexuelle Gesundheit von Frauen nichts im Strafrecht verloren hat.

Fragile Frauen- und Selbstbestimmungsrechte

Die Entscheidung des US-Höchstgerichts zeigt einmal mehr, wie fragil Frauen- und Selbstbestimmungsrechte sind. Auch in Österreich ist nichts selbstverständlich. In Reaktion auf die Abschaffung von Roe vs. Wade haben SPÖ, Grüne und Neos vorige Woche in der Sitzung des Wiener Landtages ein überparteiliches Zeichen für Frauenrechte gesetzt und einen Antrag zur Beibehaltung der Fristenlösung eingebracht. Die ÖVP und die FPÖ stimmten dagegen.

Jahrzehntelang haben wir Frauen für unsere Selbstbestimmungsrechte gekämpft. Auch in Österreich haben wir sie gegen den erbitterten Widerstand von Konservativen, Rechten und der Kirche durchgesetzt. Wir werden sie gemeinsam gegen rückwärtsgewandte, frauenfeindliche Angriffe verteidigen – heute, morgen, immer.

Unsere volle Solidarität gilt den US-Amerikanerinnen und allen Frauen, die weltweit um ihre Rechte kämpfen!

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