Der ökonomische Blick

Liechtenstein: Es lohnt sich, genauer hinzuschauen

A general view shows Vaduz Castle in Liechtenstein's capital Vaduz
A general view shows Vaduz Castle in Liechtenstein's capital VaduzREUTERS
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Über die Herausforderungen eines Kleinstaats - oder: Können wir von Liechtenstein etwas lernen?

Liechtenstein zählt mit seinen knapp 40.000 Einwohnern nicht nur zu den kleinsten Staaten Europas, sondern auch zu den wohlhabendsten der Welt. Auf der Suche nach den Gründen für den hohen Wohlstand wird man durchaus überrascht – und muss auch das eine oder andere Vorurteil über den kleinen Nachbarstaat begraben.

Liechtenstein ist im Ausland in erster Linie für seinen Finanzplatz bekannt. Die Hauptursache für den hohen Wohlstand liegt jedoch – überraschenderweise – nicht im Finanzsektor. Liechtensteins Industriesektor trägt mit 46 Prozent fast die Hälfte zum Bruttoinlandsprodukt (BIP) bei – und damit mehr als das Doppelte des Finanzsektors. Die starke industrielle Basis, die Liechtenstein damit von anderen Finanzplätzen unterscheidet, besteht aus vielen KMU, aber auch aus einigen großen und global erfolgreichen Nischenplayern. Auffallend ist dabei die hohe Innovationskraft Liechtensteins. Die Ausgaben für Forschung und Entwicklung liegen bei über sechs Prozent des BIP, sind damit höher als in jedem OECD-Land und knapp doppelt so hoch wie in Österreich. Diese Ausgaben machen sich bezahlt: Liechtenstein hatte 2021 fast 500 Patentanmeldungen und pro Kopf mehr als vierzigmal so viele wie Österreich. Dementsprechend hoch ist die Produktivität und damit auch der Durchschnittslohn. Doch warum ist Liechtenstein so erfolgreich?

Jede Woche gestaltet die „Nationalökonomische Gesellschaft" (NOeG) in Kooperation mit der "Presse" einen Blog-Beitrag zu einem aktuellen ökonomischen Thema. Die NOeG ist ein gemeinnütziger Verein zur Förderung der Wirtschaftswissenschaften.

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Kurze Wege

Liechtenstein liegt im wohlhabenden Mitteleuropa und der wirtschaftlich dynamischen Bodenseeregion. Innerhalb dieser Rahmenbedingungen gelang es, Vorteile der Kleinheit in Verbindung mit der Eigenstaatlichkeit für sich nutzen zu können. Wichtige wirtschaftspolitische Grundlagen hierfür legte Liechtenstein bereits in der Zwischenkriegszeit, zum Beispiel durch die Schaffung einer liberalen Wirtschafts- und Rechtsordnung. Zudem konnten ökonomische Kostennachteile der Kleinheit abgefedert werden, indem man sich nur auf wirklich notwendige Staatsaufgaben konzentriert hat und durch internationale Partnerschaften gewisse Ausgabenlasten senken konnte. Hierbei waren auch die kleinstaatlichen „kurzen Wege“ in Politik, Verwaltung und Wirtschaft und die damit verbundene Flexibilität und Handlungsschnelligkeit hilfreich.

Ein weiterer Erfolgsfaktor ist das besondere institutionelle Umfeld. Einerseits verfügt Liechtenstein seit 1923 über einen Zollanschlussvertrag mit der Schweiz, andererseits ist der Kleinstaat Mitglied der EFTA, der WTO sowie des Europäischen Wirtschaftsraums (EWR). Durch den EWR ist das Fürstentum Teil des Europäischen Binnenmarktes und übernimmt damit auch die EU-Regulierung. Liechtenstein ist das einzige Land, das sowohl im EU/EWR-Raum als auch in der Schweiz freien Marktzugang hat – ein großer Wettbewerbsvorteil. Zudem ist Liechtenstein mit der Schweiz in einer Währungsunion und profitiert damit, wenn auch ohne geldpolitisches Mitspracherecht, von der Stabilität des Schweizer Frankens.

Keine Schulden

Andere wichtige Faktoren sind politische Stabilität und gesunde öffentliche Finanzen. Liechtenstein hat keine Schulden, sondern ein hohes öffentliches Nettovermögen, welches das BIP deutlich übersteigt. Selbst im Corona-Krisenjahr 2020 wurde – trotz Maßnahmenpakets – ein deutlicher Budgetüberschuss verzeichnet. Das Ziel eines gesunden öffentlichen Haushalts ist in der Politik unbestritten, unter anderem um als kleines Land die Unabhängigkeit von internationalen Anleihenmärkten zu bewahren.

Der Schlüssel liegt dabei neben den direktdemokratischen Elementen in der politischen Transparenz. Bei den öffentlichen Ausgaben kann jeder Franken bis ins Detail nachvollzogen werden, was für Kontrolle durch die Öffentlichkeit und damit implizit für Sparsamkeit sorgt. Auch dadurch sind Staats- und Fiskalquote im internationalen Vergleich auf einem konstant tiefen Niveau und weniger als halb so hoch wie in Österreich. Der Fokus der Fiskalpolitik liegt – auch vor dem Hintergrund des niedrigen Multiplikators – nicht auf antizyklischen Maßnahmen, sondern darin, möglichst gute wirtschaftliche Rahmenbedingungen zu schaffen, wie z.B. durch wenig Bürokratie oder gute Infrastruktur.

Ähnlich wie andere (sehr) kleine offene Volkswirtschaften ist Liechtenstein durch eine hohe BIP-Volatilität und Sensitivität gegenüber globalen Konjunkturschocks gekennzeichnet. Die Volatilität ist mehr als doppelt so hoch wie in den größeren Nachbarländern, in der Finanzkrise 2009 und in der Corona-Krise 2020 brach das BIP im zweistelligen Prozentbereich ein. Doch Liechtenstein hat gelernt, mit diesen Konjunkturschwankungen umzugehen: Die Arbeitslosigkeit stieg in der Corona-Krise gerade einmal auf einen Wert von zwei Prozent, auch in der Finanzkrise waren es nicht viel mehr.

Widerstandsfähiger Arbeitsmarkt

Der liechtensteinische Arbeitsmarkt ist also sehr widerstandsfähig gegenüber konjunkturellen Schwächephasen und der empirische Zusammenhang zwischen BIP-Wachstum und Arbeitslosenquote, auch als Okunsches Gesetz bekannt, praktisch nicht vorhanden. Dabei spielt auch das Steuersystem eine Rolle: Durch die Möglichkeit eines Eigenkapitalzinsabzugs entsteht für die Unternehmen ein Anreiz, viel Eigenkapital im Unternehmen zu halten, um die Gewinnsteuerlast zu reduzieren. Dies führt dazu, dass die liechtensteinische Wirtschaft eine sehr niedrige Verschuldung aufweist. Damit können es sich die Unternehmen in einer Rezession leisten, Arbeitnehmende zu halten. Dabei dürfte aber auch der Fachkräftemangel eine wesentliche Bedeutung haben: Die Rekrutierung neuer Fachkräfte wäre für die Unternehmen wohl teurer, als die vorhandenen während konjunktureller Schwächephasen weiter zu beschäftigen.

Natürlich ist Liechtenstein keine Insel der Seligen und steht auch vor praktischen wirtschaftspolitischen Problemen, die jenen anderer Länder ähneln. So ist z.B. die Verschuldungsquote der privaten Haushalte aufgrund der hohen Immobilienpreise hoch und mit entsprechenden Risiken verbunden. Entscheidend ist jedoch, dass die Probleme von Behörden und Politik proaktiv und transparent angegangen werden.

Heute gibt es in Liechtenstein mehr Beschäftigte als Einwohner und das Bruttonationaleinkommen pro Kopf ist das höchste der Welt. Dass etwa ein Drittel der liechtensteinischen Bevölkerung keinen liechtensteinischen Pass hat, mehr als die Hälfte der Arbeitnehmenden aus dem Ausland zupendeln und Schlüsselpositionen – auch in öffentlicher Verwaltung und Justiz – von Menschen ohne liechtensteinische Staatsbürgerschaft besetzt werden, wird als ganz normal empfunden. Die Mischung aus einem optimalen rechtlichen und institutionellen Umfeld, politischer Stabilität, transparenten und gesunden öffentlichen Finanzen, wirtschaftlicher Offenheit und hohen finanziellen Reserven in der Privatwirtschaft scheinen jedenfalls ein Erfolgsrezept zu sein, bei dem es sich auch für andere Länder lohnt, etwas genauer hinzuschauen.

Martin Gächter ist Leiter Finanzstabilität bei der Finanzmarktaufsicht (FMA) Liechtenstein und war zuvor u.a. für die OeNB und die EZB tätig. Er hat an der Universität Innsbruck promoviert und habilitiert.

Andreas Brunhart ist Forschungsleiter Volkswirtschaft am Liechtenstein-Institut. Er hat an der Universität Wien promoviert.

Andreas Brunhart und Martin Gächter
Andreas Brunhart und Martin Gächter

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